Wie in der Sowjetunion gegen die Dürre gekämpft wurde

Aus Rote Fahne 32/2014: In der Sowjetunion zu Lebzeiten Lenins und Stalins spielten Umwelt- und Naturschutz eine sehr wichtige Rolle – zu diesem für viele überraschenden Ergebnis kommt das Autorenkollekiv von „Katastrophenalarm!“, dem neuen Buch von Stefan Engel.

Es ist eine Anregung, weiter in das Thema einzudringen, wie die folgende Korrespondenz aus Kassel: Es gab in der Sowjetunion unter anderem 90 Naturschutzgebiete mit einer Gesamtfläche von rund 12 Millionen Hektar.1 Zu den Zielen heißt es: „Durch die Errichtung von Naturschutzgebieten ist (…) für immer die Gefahr beseitigt, dass diese oder jene Raubtiere, Vögel oder Fischarten oder bestimmte Pflanzen aussterben. So bleibt späteren Generationen die Vielgestaltigkeit der Natur unseres Landes erhalten.“2 Bemerkenswerte Ziele, die vor 70 Jahren in der damals sozialistischen UdSSR formuliert wurden. Heute ist

die Umwelt weltweit völlig der Profitmacherei unterworfen. Ein dramatisches Artensterben, die Zerstörung und Verseuchung von Landschaften, der Weltmeere, des Klimas und die Plünderung der natürlichen Rohstoffe und Ressourcen haben ein katastrophales Ausmaß erreicht.

Umweltschutz – Zukunftssicherung

Die Wasserkraft zur Stromerzeugung spielte in der UdSSR eine wichtige Rolle und auch Elektroantriebe im Transportwesen und in der Landwirtschaft. So gar nicht ins Bild manches Antikommunisten passt, dass „die fortschrittlichen Wissenschaftler, darunter Wissenschaftler mit Weltgeltung, gerade unter der Sowjetmacht in den 20er bis 40er Jahren die günstigsten Bedingungen für ihr Schöpfertum erhielten.“3 Nach dem II. Weltkrieg begann man im großen Stil Schutzwaldgürtel aufzubauen, um die regelmäßig auftretenden Dürren durch Trockenwinde in den Schwarzerdegebieten im Südosten der europäischen Sowjetunion wirksam bekämpfen zu können. Die Folgen dieser Naturkatastrophen waren Hungersnöte und die Vernichtung ganzer Ernten. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts hatte der russische Geologe Dokutschajew die Anpflanzung von Waldgürteln vorgeschlagen. Der Privatbesitz an Grund und Boden und die Herrschaft des Zarismus verhinderten aber die Umsetzung dieser Ideen. Erst nach der Revolution begann man sich ernsthaft damit zu beschäftigen. Stalin schrieb 1924: „Wir haben beschlossen, alles in unseren Kräften Stehende zu unternehmen, um uns in Zukunft gegen die Unberechenbarkeit der Dürre zu sichern. Wir beabsichtigen, dieses Werk mit dem Allernotwendigsten zu beginnen, nämlich mit der Schaffung eines keilförmigen Meliorationsstreifens im Raum von Samara-Saratow-Zarizyn-Astrachan-Stawropol.“4

Im Jahre 1948 wurde dann der Beschluss gefasst, Waldschutzgürtel sowie Teiche, Wasserreservoire und ein Netz von Bewässerungskanälen anzulegen. Mit dieser Umgestaltung der Natur würden sich das lokale Klima, Flora und Fauna, die Bodenstruktur und die Lebensbedingungen der Menschen in diesen Gebieten verändern. Ein ehrgeiziger Plan, nur wenige Jahre nach dem Ende des verheerenden Kriegs, den die Naziwehrmacht gegen die Sowjetunion geführt hatte. Und in einer Zeit, in der die USA einen mörderischen Krieg gegen das koreanische Volk führten und Westdeutschland zum Bollwerk des Antikommunismus in Mitteleuropa machten.

Die „Zeit“ schrieb am 10. 3. 1949: „Der Sowjetrundfunk und die Leitartikel der Sowjetpresse berichten über einen Moskauer Erlass von ungewöhnlicher Bedeutung: bis 1965 soll der Südosten des europäischen Russlands, sollen weite Teile des Schwarzerdegebiets durch Schaffung großer Waldgürtel ein vollkommen neues Gesicht erhalten. (…) Die Gesamtfläche wird mit über 120 Millionen ha angegeben: Es ist also größer als Frankreich und Deutschland zusammengenommen. Hand in Hand mit der Aufforstung wird im ganzen Gebiet die Grünlandwirtschaft eingeführt; die Brache soll bis 1950 verschwunden sein. Eine weitere Verfügung bestimmt, dass im ganzen Lande „Wasserspeicher“ (…) angelegt werden; für 1949 ist die Fertigstellung von 41.300 solcher Anlagen befohlen. Über 80.000 Kollektivwirtschaften mit über 12 Millionen Menschen werden in den Wirkungskreis des Planes einbezogen; etwa 323.000 ha Sandboden sollen schon im nächsten Jahr urbar gemacht werden. (…) ,Prawda‘ und ,Iswestija‘ begeistern sich für den ,gewaltigen strategischen Angriffsplan gegen die Dürre‘, nennen ihn eine der kühnsten kulturellen Taten der Geschichte der Menschheit und sehen der Entstehung eines vollkommen neuen gesegneten Schwarzerdelandes mit ungeheuren Möglichkeiten entgegen.“5

Erst die Abschaffung des Privateigentums an Grund und Boden macht umfassenden Umweltschutz möglich

Ein so gewaltiges Projekt wäre unter kapitalistischen Verhältnissen unvorstellbar. Der Publizist Paul Distelbarth, der die Sowjetunion im Frühjahr 1953 besuchte, schreibt: „Was in der Sowjetunion immer wieder auffällt, ist die Einheitlichkeit und Großzügigkeit der Planung, sowie die Energie in der Durchführung der Pläne. (…) Voraussetzung ist allerdings, (…) dass aller Grund und Boden dem Staat gehört (…). Wenn man weiß, was für Schwierigkeiten unsern Architekten bei dem Wiederaufbau der zerstörten Städte die äußerst verwickelten Eigentumsverhältnisse plus dem Eigensinn der Besitzer bereiten, so kann man den Unterschied ermessen.“6

Die Umsetzung des Schutzwaldprojekts verlief nicht reibungslos. In ihrem Roman „Wald in der Steppe“ stellt Xenia Lwowa anschaulich dar, welche Widerstände es gab. „Doch nicht alle Menschen haben begriffen, worum es geht, und sie (Komsomolzin Nastja) findet auch unter ihren Vorgesetzten solche, die zu sehr an sich selbst und zu wenig an das Kommende denken.“7

Nach Stalins Tod …

Nach Stalins Tod wurde das Programm gestoppt. „In den bis 1953 angelegten 2,28 Millionen ha Schutzwaldstreifen ließen die Pflegearbeiten nach, die Kolchosbauern benutzten die Waldstreifen als Viehweide. Bis Ende 1956 waren nur noch 650.000 ha Waldstreifen erhalten geblieben. Die Ursachen dieser Vernachlässigung waren innenpolitischer und wirtschaftlicher Natur.8 Das bedeutet, dass nach Stalins Tod ein politischer Kurswechsel stattfand und die neue Führung bei den wirtschaftlichen Entscheidungen auf den kurzfristigen Gewinn schaute. Das Waldschutzprogramm war nachhaltig, aber kostenintensiv. Der Stopp des Programms war ein Beispiel für die Zerstörungen der sozialistischen Errungenschaften, die mit dem neuen Generalsekretär der Kommunistischen Partei, Nikita Chruschtschow, begannen.

Chruschtschow gab die Parole aus „Stärkung der materiellen Interessiertheit“. Seine Politik zielte darauf ab, das sozialistische Denken der Werktätigen zu zersetzen. Die Verbesserung der eigenen materiellen Lage sollte zum Antrieb für das Handeln werden. Das war das Gegenprogramm in dem Land, in dem Subbotniks und selbstloses Engagement bisher eine so große Rolle gespielt hatten. Großspurig kündigte Chruschtschow an, man wolle bei der Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte die USA überholen. Tatsächlich ist er kläglich gescheitert.

Das bodenschützende Anlegen von Waldstreifen wurde beendet. Man ging den vermeintlich einfacheren Weg, ließ Neuland in Usbekistan und Kasachstan erschließen, Großkraftanlagen und Wasserkanäle in Mittelasien und im europäischen Norden bauen. Die Beseitigung der natürlichen Pflanzenstrukturen durch die Umwandlung der Böden in Ackerland führte zu erheblichen Bodenverlusten durch Wind- und Wassererosion. Die Erträge sanken nach drei bis vier Jahren auf 30 bis 40 Prozent. Die Humusschicht der Böden verringerte sich in kurzer Zeit um 10 bis 20 cm.9 Die Bodenerosion wurde nicht durch natürliche Maßnahmen wie Feldgraswirtschaft und Aufforstung gestoppt, sondern Kunstdünger in großen Mengen eingesetzt und Bewässerungsmaßnahmen in großem Stil durchgeführt. In den 1990er Jahren waren viele Ackerflächen überdüngt und zerstört. Der Raubbau führte auch zur Zerstörung des Aralsees, dessen Hauptzuflüssen große Wassermengen entzogen worden waren. 1960 hatte der Aralsee eine Größe von 1.090 km3. Bis in die 90er Jahre war er um 90 Prozent geschrumpft. Der Salzanteil stieg von 10g/l auf etwa 40 g/l. Heute noch wird Stalin für diese Umweltkatastrophe verantwortlich gemacht, obwohl er 1953 gestorben ist.10

Sozialismus verraten

Viele denken, dass nach Stalins Tod der Sozialismus weiter bestand. Tatsächlich konnte sich aber in den folgenden Jahren eine Schicht von Bürokraten um Chruschtschow in der Parteispitze etablieren und 1956 auf dem XX. Parteitag durchsetzen. Sie sprach öffentlich von Sozialismus, hat ihn in Wirklichkeit aber verraten und eine kapitalistische Entwicklung gefördert.

Mit dem Stopp des Schutzwaldprojekts wollte die neue Führung natürlich auch die Erinnerung an Stalin auslöschen. Obwohl es nicht zu Ende gebracht wurde und die Wirkung nicht studiert werden kann, wurde der Beweis angetreten, dass unter sozialistischen Verhältnissen die Einheit von Mensch und Natur hergestellt werden kann. Der Mensch ist in der Lage, die Natur positiv umzugestalten, wenn er die Gesetze und Zusammenhänge in der Biosphäre richtig behandelt.

(Rote Fahne Korrespondenz aus Kassel)

 

1 Enzyklopädie der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, Verlag Kultur und Fortschritt Berlin 1950, S. 1498

2 ebenda S. 1500

3 Die Wahrheit über Stalin. Gespräche mit Richard Iwanowitsch Kosolapow, Prof. Dr. der philosophischen Wissenschaften, S. 31 http://www.stalinwerke.de/sonstiges/wa/wahrheit_interview.pdf

4 A. Jakowlew, Großbauten des Kommunismus, Verlag Neues Leben Berlin 1953, S. 17

5 http://www.zeit.de/1949/10/wald-auf-schwarzerde

6 Paul Distelbarth, Rußland heute, Rowohlt Verlag Hamburg 1954, S. 112

7 Xenia Lwowa, Wald in der Steppe, Verlag Kultur und Fortschritt Berlin 1951, Klappentext

8 Josef Breburda, Auswirkungen der landwirtschaftlichen Bodennutzung auf Bodenfruchtbarkeit und Umwelt in der GUS, S. 111, http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2013/9346/pdf/GU_25_1992_S105_113.pdf

9 vgl. J. Breburda, S. 111

10 http://de.wikipedia.org/wiki/Aralsee