Spannend wie ein Krimi – aber wahr

Veranstaltung zum Giftmüll unter Tage von AUF Gelsenkirchen und Kumpel für AUF

Gelsenkirchen (Korrespondenz): 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem ganzen Ruhrgebiet kamen am Samstag, den 16. 11. 2013 zur Veranstaltung „Unsere Kinder und Enkel klagen an! Tickende Giftmüllbombe unter dem Ruhrgebiet“. Eingeladen hatte das Kommunalwahlbündnis AUF Gelsenkirchen und die Bergarbeiterbewegung Kumpel für AUF.

Alle waren brennend interessiert über die Berichte der angekündigten Referenten: Christian Link vom Koordinierungsausschuss von Kumpel für AUF, die Stadtverordnete Monika Gärtner-Engel und Dr. Willi Mast vom Wahlbündnis AUF Gelsenkirchen, Gerhard Bongardt und der Landwirt Schulze-Bergcamen von der Bewegung der Bergbaugeschädigten.

Die Spannung war umso höher, weil die Stadtverordnete Monika Gärtner-Engel einen Drohbrief aus dem Oberbürgermeisteramt Gelsenkirchen bekommen hatte. Nach Veröffentlichung in der „WAZ“, dass sie über ihre Akteneinsicht bei der Stadt Gelsenkirchen berichten würde, wollte der OB sie zur Verschwiegenheit verpflichten – unter Androhung von 250 Euro Ordnungsgeld. Monika Gärtner Engel ließ sich davon nicht beeindrucken und erklärte, dass sie schweigen kann, wenn nötig. Aber sie lässt sich nicht zur Verschwiegenheit über eine grobe Gefährdung von Mensch und Natur im Ruhrgebiet verpflichten. Sie sieht ihre Aufgabe genau darin, den Leuten ihr Wissen zur Verfügung zu stellen, damit sie ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen können. Im weiteren Verlauf der Veranstaltung wurde mehr als deutlich, dass genau das das Gebot der Stunde ist.

Ernsthaft und mitreißend eröffneten Kinder der Gesamtschule Horst und der Rotfüchse die Veranstaltung. Sie erklärten: Wir wollen kein schmutziges Wasser trinken, forderten zu einer Schweigeminute für die Opfer des Taifuns auf den Philippinen auf und sangen das Lied der Rotfüchse: „Wir sind Umweltkämpfer …“

Christian Link berichtete, dass die mindestens 1,6 Millionen Tonnen Sondermüll unter Tage eine tickende Giftmüllbombe darstellen. Die Absicht der RAG, das Grubenwasser nach Schließung der Zechen auf 500 Meter ansteigen zu lassen, verschärft die Gefahr unkalkulierbar. Auf einer Landkarte des Ruhrgebiets zeigte er, wie ein allseitig miteinander verbundenes Netzwerk der verschiedenen Zechen mit Giftmülleinlagerungen existiert, sodass bei einer Flutung dieser Zechen unter Tage ein Giftsee unter unseren Füßen entstehen wird.

Der Bericht von Monika Gärtner-Engel über ihre vielfältigen Recherchen, unter anderem Akteneinsicht bei der Stadt Gelsenkirchen, entpuppte sich als Lehrstück, wie sich die RAG die Politik und die staatlichen Organe unterworfen hat. In 30 Thesen prangerte sie an, „wie in Gelsenkirchen auf Hugo/Consol von 1986 bis 1998 Giftmüll eingelagert wurde – bis 1990 ohne jeden mir bekannten Antrag und Genehmigung“. Die Fraktionen im Rat der Stadt Gelsenkirchen sprachen sich zunächst alle gegen die Einlagerung aus, außer den Republikanern. Alle argumentierten damals schon mit der Gefährdung des Grundwassers. „Daraus wird auch klar“, so Monika Gärtner-Engel weiter: „Alle wussten und wissen Bescheid und argumentierten damals schon mit der Gefährdung des Grundwassers. Doch im Lauf der Zeit knickten sie mehr oder weniger ein bzw. verfielen in Passivität.“ Die SPD mit dem Übergang vom „großtechnischen Versuch“ in den Dauerbetrieb, die (Landes)Grünen mit dem Eintritt in die Landesregierung 1995. Rückgrat zeigten die verantwortlichen Mitarbeiter im Umweltamt der Stadt Gelsenkirchen, die immer wieder Einwände vortrugen. Dass trotzdem riesige Mengen hochgiftigen Materials eingelagert wurden, liegt an einem rigoros durchgezogenen Verfahren ausgehend von der RAG und der damaligen Landesregierung. „Die RAG installierte über einen eigens geschaffenen ,Arbeitskreis‘ eine straff durchorganisierte Struktur der Unterwerfung bzw. Instrumentalisierung von Bergamt, Landesoberbergamt, Ministerium für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft usw. Ausgehend von der Landesregierung NRW wurde der Giftmüll mit einem juristischen Taschenspielertrick zum ,Wirtschaftsgut‘ umdefiniert und damit seine nach Wasserrecht widerrechtliche Einbringung unter Tage legalisiert“, so Monika Gärtner-Engel weiter. Die RAG verdiente sich eine goldene Nase: Allein in Gelsenkirchen könnten es 100 Millionen DM gewesen sein. Die Legalisierung war ein Dammbruch: Giftmüll aus der ganzen BRD wurde eingebracht, nicht nur aus der Müllverbrennung, sondern auch aus der Abgasreinigung von Steinkohlekraftwerken, von BASF, Hoechst und Ciba-Geigy. Als 1995 die erste rot-grüne Landesregierung entstand, blieb alles beim Alten. Aus dem Umweltministerium von Bärbel Höhn (Grüne) kam im November 1995 ein Brief an die Stadt Gelsenkirchen, dass es keine Veränderungen der bisherigen Praxis gäbe. Nach diesem Bericht ist auch klar, dass und wie die Grünen auf Landesebene der Umweltbewegung, der Bevölkerung und den Bergleuten in den Rücken fielen.

Dr. Willi Mast, Gerhard Bongardt und der Landwirt Schulze-Bergcamen lieferten weitere und neue Fakten in der Aufdeckung des Giftmüllskandals. Dr. Willi Mast berichtete, dass bei der Einlagerung „unter vollständigem Einschluss“ angeblich eine zementartige Aushärtung unter Tage erfolgen sollte. Später war dann nur noch von einer pastösen „trüben Brühe“ die Rede, die durch Bohrlöcher in die Hohlräume eingeleitet wurde. Man kann sich vorstellen, was passiert, wenn Risse entstehen und der Gebirgsdruck auf dieser trüben Brühe lastet. Kernbohrungen zeigen, dass von einem vollständigen Einschluss des Giftmülls nicht die Rede sein kann und dass sich die Giftbrühe durch das Gestein verbreitet. Es war also abzusehen, dass der versprochene Nutzen, Bergsenkungen zu verhindern, gar nicht eintreten kann. „Damit steht aber das ganze Genehmigungsverfahren in Frage“, so Gerhard Bongardt. Landwirt Hermann Schulze-Bergcamen zerpflückte auch das Argument des Bergamtes im Umweltausschuss Gelsenkirchen, dass der Giftmüll durch eine wasserundurchlässige Tonschicht sicher umschlossen sei. Tatsächlich ergab die Stellungnahme eines Geologen, dass die Tonschicht im Ruhrgebiet aus maritimem Gestein entstanden ist; durchmengt mit Muscheln und Sand – beides natürlich wasserdurchlässig.

Die MLPD war bereits in den 1990er Jahren an der Aufdeckung der Giftmüllverklappung aktiv. Sie sah sich durch die auf der Veranstaltung zu Tage geförderten Fakten bestätigt: Der Kapitalismus hat ein Stadium erreicht hat, wo die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit ein gesetzmäßiger Bestandteil seiner ökonomischen Funktionsweise geworden ist. Die Umwelt kann nur gerettet werden, wenn der Kapitalismus auf revolutionäre Weise überwunden wird.

Die Veranstaltung von AUF Gelsenkirchen und Kumpel für AUF war ein wichtiger Erfolg, weil sie Ausdruck einer entstehenden engeren Verbindung von Arbeiterbewegung und Umweltbewegung war. Arbeiter, Umweltbewegte, Bauern, Jugendliche, Frauen, Kommunalpolitiker und Wissenschaftler schließen sich über Parteigrenzen zusammen. Einig war man sich über die Forderung, dass die Bergwerke nicht stillgelegt und geflutet werden dürfen, bevor nicht die Entsorgung des Giftmülls geklärt ist und die Verursacher die Kosten bezahlen müssen. AUF Gelsenkirchen berichtete, dass das Wahlbündnis in der Haushaltsdebatte Gelsenkirchen zwei Anträge einbrachte mit der Forderung nach einem Programm zur regelmäßigen Kontrolle und unabhängigen Beprobung des Grubenwassers und die Erstellung einer Machbarkeitsstudie über mögliche Optionen einer Rückholung des Giftmülls und Abschätzung der Kosten. Das Thema soll auch den Kommunalwahlkampf 2014 prägen.