Grand Inga – neues Megaprojekt in Afrika, auf Kosten von Mensch und Natur

Wir sitzen in einem Restaurant auf der Dachterrasse eines 11-stöckigen Hauses im Zentrum von Kongos Hauptstadt Kinshasa mit wunderbarem Blick auf die Stadt und den majestätischen Kongofluss. Pünktlich um 18 Uhr wird es dunkel, denn wir sind am Äquator. Rundum Blitze, Wetterleuchten und Wassergüsse, wir haben Regenzeit. Dann kompletter Stromausfall! Die gesamte Stadt liegt plötzlich im Dunkeln, fünf Minuten früher und wir steckten im Lift fest …
Der Koch bereitet unser Essen inzwischen auf einer Feuerstelle zu. Immerhin gibt es nach zwei Stunden wieder Strom. Den Weg die elf Stockwerke nach unten, nehmen wir trotzdem lieber zu Fuß – mit Handylicht.

Mehrmals täglich Stromausfall ist im Kongo Alltag. Nur sechs Prozent der Kongolesen haben überhaupt Strom. Dabei gibt es in dem wasserreichen Land viele Stromerzeugungs-Möglichkeiten. Der Kongofluss überquert auf seiner 4.700 Kilometer langen Strecke zweimal den Äquator. So gleichen sich saisonale Schwankungen der Regenzeit aus und er hat das ganze Jahr über eine gleichmäßige Strömung. An der Mündung hat er einen Wasserdurchfluss von 44.000 Kubikmetern pro Sekunde. Kurz vorher wird er sehr schmal und die Wassermassen durchbrechen mit entsprechender Power mehrere Gebirgsformationen. Hier wurden in den 1970er und 1980er Jahren  beim Dorf Inga die beiden Kraftwerke Inga I und II gebaut, mit einer Kapazität von 1.800 MW.

Von hier aus wird Strom bis nach Südafrika geliefert und auch das Bergbaurevier Katanga versorgt, wo  Kupfer und Kobalt vor allem von internationalen Konzernen ausgebeutet werden. Inga I und II bringen jedoch nur noch 20 Prozent Leistung. Sie sind marode. Statt sie zu reparieren, wurde im April dieses Jahres ein neues Projekt beschlossen: Südafrika und die Demokratische Republik (DR) Kongo bauen ab 2015 einen Mega-Staudamm „Grand Inga“.

Elektrizität wird nicht wie jetzt bei Inga I und II aus kleinen Seitenläufen des Kongo erzeugt, sondern der gesamte riesige Fluss soll umgeleitet und Staumauern bis zu 200 Metern Höhe errichtet werden. 40.000 MW soll das Kraftwerk erzeugen. Doppelt so viel wie das heute größte Wasserkraftwerk der Erde, der Drei-Schluchten-Staudamm in China.

Federführend: Südafrikas Stromkonzern
Investitionssumme: 80 Milliarden US-Dollar. Vor Jahren hatten noch fünf afrikanische Länder gemeinsam ein weitaus kleineres Gemeinschaftsprojekt, Inga III geplant. Davon ist nicht mehr die Rede. Südafrika führt als aufstrebende neu-imperialistische Macht mit seinem Stromkonzern ESKOM eindeutig Regie. Das kongolesische Volk wird wenig davon haben. Der völlig verarmte und korrupte Kongo „darf“ seine Naturschätze opfern. Man munkelt, dass demnächst auch die staatliche, hochverschuldete Elektrizitätsgesellschaft SNEL an ESKOM verkauft werden muss.

Grand Inga ist ein weiteres unsinniges Megaprojekt. Es dient nur der Anlage überschüssigen Kapitals und der Profitmaximierung für internationale Monopole. Sinnbild auch dafür, dass ehemalige Kolonien wie Südafrika, „angestoßen vom Kapitalexport aus den imperialistischen Metropolen, eigene internationale Monopole herausgebildet haben. Diese wachsen zunächst in eine regionale hegemoniale Rolle hinein und gehen dann, von ökonomischen Zwängen getrieben, selbst zum Kapitalexport und zu einer imperialistischen Raubpolitik gegen andere neokolonial abhängige Länder über (…)“, wie es Stefan Engel  charakterisiert. Grand Inga soll in erster Linie den Energiebedarf der rasch wachsenden Industrie Südafrikas decken und die Vormachtstellung von ESKOM als größtem Stromerzeuger Afrikas und siebtgrößtem Stromerzeuger der Welt ausbauen.

Umweltschützer schlagen Alarm
Grand Inga ist auch ein Angriff auf Mensch und Natur: Durch die gigantische Flussumleitung könnten Fische nicht mehr zu ihren Laichplätzen. Malariamücken würden sich in den neu geschaffenen Seen ausbreiten. Die Wasserqualität der Nebenarme nähme ab, die als regelmäßige Düngung wirkende Überschwemmung von Flusstälern fiele weg und es müsste mit Erdrutschen gerechnet werden. Und wohin sollen die Bewohner des Flusslaufs? Bis heute ist kein einziger der fast 10.000 Anwohner entschädigt worden, die einst für Inga I und II umgesiedelt wurden. Der dringend für die Bevölkerung benötigte Strom könnte billiger und umweltschonend dezentral in kleinen Kraftanlagen an den vielen Wasserläufen im Land oder mit Solaranlagen erzeugt werden.

Dass international Umweltschützer Alarm schlagen, ist ermutigend. Ein wichtiges Signal war auch  ein Seminar zur Zukunft des Landes im April in Kinshasa mit 100 Teilnehmern von Universitäten, politischen Parteien und verschiedenen Organisationen. In Kongos Medien fand es große Beachtung. Auf dem Seminar nahmen der Schutz der Natur des Landes und die Umweltfrage im nationalen und internationalen Zusammenhang einen großen Stellenwert ein.  

Quellen:
– NZZ 19. 5. 13
– greenpeace magazin 5.08
– taz 9. 12. 06
– S. Engel, Morgenröte der internationalen sozialistischen Revolution, S. 324 (Verlag Neuer Weg)
– Appel des participants evaluation dialogue intercongolais 11–13 avril 2013