12. Juli 1943: Gründung des Nationalkomitees Freies Deutschland
„Fünfunddreißig Jahre nach Kriegsende konnte in zahlreichen Gesprächen mit ehemaligen Kriegsgefangenen immer wieder folgende Erfahrung gesammelt werden: Die Ereignisse des II. Weltkriegs scheinen weitgehend bewältigt. Ein Thema ist jedoch geblieben, das für viele ein Trauma, für manche auch ein Tabu darstellt, und dieses Reizwort lautet: Nationalkomitee ‚Freies Deutschland’“. Mit dieser Feststellung wurde 1981 die strikt antikommunistische Untersuchung „Krieg hinter Stacheldraht. Die deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion und das Nationalkomitee Freies Deutschland“ eingeleitet. Es handelte sich dabei um die Dissertationsarbeit des Militärhistorikers und Oberst a. D. Karl-Heinz Frieser. Die Gründung des NKFD jährt sich in wenigen Tagen zum 70. Mal.
Als „bewältigt“ werden die deutschen Kriegsverbrechen, die Massenmorde an Zivilisten, der Völkermord im Namen von „Blut und Rasse“ abgehakt. Das „Trauma“ aber besteht darin, dass während des Krieges durch deutsche Kommunisten und mit aktiver Unterstützung durch die sozialistische Sowjetunion mit dem NKFD eine Organisation des antifaschistischen Widerstands geschaffen wurde. Das „Tabu“ besteht darin, dass sich zahlreiche deutsche kriegsgefangene Soldaten diesem Widerstand anschlossen. Er reichte von der inhaltlichen Widerlegung des faschistischen Gedankenguts bis zur Zersetzung der angreifenden faschistischen Truppe und zu heldenhaften Partisanenaktionen.
Bis heute wird ein Mantel des Schweigens über diese größte und wirkungsvollste Organisation des von Deutschen getragenen Widerstands gegen Hitler gelegt. Würde das Tabu fallen, müsste man zugeben, dass die Kommunisten die stärksten und aktivsten Gegner des Faschismus waren!
Willi Dickhut, Vordenker und Mitbegründer der MLPD, schrieb 1987: „Wenn die bürgerlichen Massenmedien vom Widerstand gegen den Hitler-Faschismus reden und schreiben, dann verschweigen sie nach Möglichkeit den aktiven antifaschistischen Widerstand der Komunisten.“ (1) Das ist in einer Zeit, in der vor allem Stalin, der Hauptgegner Hitlers, zum Verbrecher erklärt werden soll, geradezu das bürgerliche Credo!
Allen Kommunisten war klar, dass das sowjetische Volk in den deutschen Werktätigen Verbündete haben werde, denn diese seien von Hitler unterdrückt und hätten somit den gleichen Gegner. Ausgehend von dieser Einschätzung entwickelten die deutschen Kommunisten, die in der Sowjetunion Asyl gefunden hatten, ihre antifaschistische Tätigkeit. Das in Moskau arbeitende Zentralkomitee der KPD erarbeitete in Absprache mit den sowjetischen Genossen die Strategie und Taktik für eine antifaschistische Einheits- und Volksfrontpolitik. Sie beinhaltete den aktiven Widerstand zur Beendigung des Krieges und das Ziel der Errichtung einer demokratischen Volksrepublik in Deutschland. Die deutschen Genossen erhielten die Möglichkeit, in den Kriegsgefangenenlagern dafür zu werben und eine Organisation aufzubauen. Schon vier Monate nach Kriegsbeginn führten KPD-Mitglieder im Lager Nr. 58 eine erste Beratung mit gefangenen deutschen Soldaten durch.
Sie mussten dabei zunächst feststellen, welche verheerenden Auswirkungen die Jahre der faschistischen Propaganda auf das Klassenbewusstsein der Arbeiter gehabt hatten. Doch sie ließen sich nicht entmutigen. Es gelang schließlich, einen von 158 Soldaten unterzeichneten „Appell an das deutsche Volk“ zu erstellen. Er wurde in den Lagern und an der Front verbreitet. Im Juni 1942 wurde im Lager Nr. 27 von 1.900 Gefangenen ein weiterer Aufruf unterzeichnet, im Juni 1943 schließlich von KPD-Genossen und Kriegsgefangenen ein vorbereitender Ausschuss gegründet. Am 12. Juli 1943 fand in Krasnogorsk mit 25 Vertretern von kriegsgefangenen Offizieren und Mannschaften und 15 emigrierten Genossen der KPD die Gründung des Nationalkomitees Freies Deutschland statt. Zum Präsidenten des Komitees wurde der in der Weimarer Republik äußerst bekannte Schriftsteller und Kommunist Erich Weinert gewählt. Das NKFD entfaltete eine intensive Tätigkeit unter den hunderttausenden deutschen Kriegsgefangenen und erfasste immer breitere Teile. In den Schützengräben an der Front wurde Lautsprecherpropaganda organisiert und Flugblätter, die zum Überlaufen aufforderten, verbreitet. Vereinzelt wurden auch militärische Aktionen durchgeführt. Mit sowjetischer Unterstützung wurde ein Radiosender errichtet. Die Wochenzeitung „Freies Deutschland“ wurde herausgegeben und unter den Kriegsgefangenen verbreitet.
Es ist belegt, dass Hitler über die Erfolge des antifaschistischen Kampfes des NKFD entsetzt war. Die Nazis versuchten, gezielte Terrorakte gegen seine Stützpunkte zu verüben. Zahlreiche der vom NKFD gewonnenen Kräfte engagierten sich nach Kriegsende tatsächlich für die Errichtung einer demokratischen Volksrepublik und wirkten bei den hoffnungsvollen sozialistischen Anfängen der DDR mit. Natürlich gab es unter den Kriegsgefangenen auch verbohrte Nazis, die sich gegen das NKFD wandten. Nach ihrer Rückkehr in die BRD versuchten sie, die Mitarbeit im NKFD als Verrat an Deutschland und seine Tätigkeit als „stalinistische Machenschaft“ zu verhetzen. Doch aus gutem Grund setzten die Herrschenden vor allem auf die Taktik des Totschweigens – das NKFD gehörte zu den leuchtenden Beispielen des antifaschistischen Kampfes!
(1) „Proletarischer Widerstand gegen Faschismus und Krieg“, 1. Teil, S. 9