„Es wird immer unerträglicher“
Empörung über wachsende Arbeitshetze und Flexibilisierung
Rund 250 bis 300 Kollegen versammelten sich am Montag, 24. Juni, bei ThyssenKrupp Stahl (TKSE) in Duisburg-Beekerwerth zum Protest gegen Vernichtung von 2.000 Arbeitsplätzen und den Verkauf weiterer Bereiche mit 1.800 Arbeitsplätzen. Zusätzlich will der Vorstand Leute mit Zeitverträgen und Leiharbeiter raussetzen und unter Bruch des geltenden Tarifvertrages Auszubildende nicht mehr übernehmen. Teilweise arbeiten diese Kollegen seit Jahren mit ThyssenKrupp-Kollegen direkt zusammen. Alles bei gleichbleibender Stahlproduktion. Angeblich um betriebsbedingte Kündigungen bei der Stammbelegschaft zu vermeiden, soll die Arbeitszeit auf 31 Stunden – bei Lohnausgleich nur für 0,75 Stunden – gesenkt werden. Auf selbstgemalten Transparenten forderten die Kollegen „Übername der Azubis“ und „Kein Tarifbruch“. Seit Anfang Juni gab es fünf solche „Betriebsratsinfos“ mit zusammen 900 Kollegen während der Arbeitszeit und zum Teil mit angehaltener Produktion.
Bei TKSE hat bereits in den letzten Jahren die Rationalisierungsfirma McKinsey alles durchforstet und insbesondere die Flexibilisierung als „Erfolgsrezept“ zur Steigerung der Profite entdeckt: Die Anlagen sind ständig unterbesetzt. Während vor 2008 an jeder Anlage eine „Reservequote“ von vier Prozent für Krankheit, Urlaub etc. galt, wurde diese auf zwei Prozent gekürzt. Die Folge ist ein ständiger Wechsel des Arbeitsplatzes – wenn ein Mann in einem Kernbereich fehlt, wird einer woanders abgezogen, die Arbeit dort bleibt liegen und staut sich auf. In Zukunft will TKSE sich das Recht nehmen, jederzeit kurzfristig per Telefon Schichten anzusetzen und abzusagen – und zwar verpflichtend für alle. Die Standardbesetzung in Bereichen wie der Instandhaltung soll weiter ausgedünnt und dafür die „Rufbereitschaft“ massiv ausgedehnt werden – d.h. die Kollegen sollen zu Hause jederzeit am Telefon abrufbereit sein. Um Wochenendzuschläge zu sparen, will Thyssen sogar Schichten teilen – am Freitagabend vor 24 Uhr vier Stunden arbeiten, die andere halbe Schicht am Montag ab 24 Uhr!
Krank machende Arbeitsbedingungen in allen Branchen …
Vernichtung von Arbeitsplätzen und steigende Arbeitsintensität, Flexibilisierung der Arbeitszeit, Zunahme von Schicht- und Wochenendarbeit wie auch von Leiharbeit, Werksverträgen, befristeten Arbeitsverträgen und Scheinselbstständigkeit prägen heute mehr denn je das Arbeitsleben in fast allen Bereichen. Die Arbeitshetze ist an vielen Arbeitsplätzen unerträglich, nicht nur in der Industrie. In Krankenhäusern müssen immer weniger Krankenschwestern und -pfleger die Patienten betreuen. So berichtet ver.di Bayern, dass an bayrischen Kliniken bei steigenden Patientenzahlen zwischen 1997 und 2007 in der Pflege 5.500 Stellen abgebaut wurden. Bei den privaten Hamburger Asklepios-Kliniken führte die steigende Patientenzahl bei gleichbleibendem Personal zu einer Leistungsverdichtung von 30 Prozent. Auch im Altenpflegebereich arbeiten die meisten Beschäftigten am Limit. Im Sozial- und Gesundheitswesen waren die Beschäftigten im Jahr 2012 durchschnittlich 40,7 Tage wegen psychischer Probleme krank geschrieben.
In allen Branchen steigt die Zahl der psychischen Erkrankungen. Bei einer Befragung von rund 2.000 Beschäftigten im Auftrag der AOK klagten 20,8 Prozent über Erschöpfung, 20,1 Prozent über das Problem, in der Freizeit nicht abschalten zu können, 14 Prozent über Kopfschmerzen und 11 Prozent über Niedergeschlagenheit.
Auch die Schichtarbeit mit ihren gesundheitlichen Auswirkungen hat in Deutschland stark zugenommen . Das Brustkrebsrisiko bei Frauen, die Nachtschicht arbeiten, steigt um 30 Prozent. In Großbetrieben wird zunehmend die bei Opel in Bochum zuerst von einer Belegschaft als solche erkannte und bekämpfte Management-Methode des Massenmobbings eingesetzt (siehe Seite 7).
Die fortschreitende Flexibilisierung der Arbeitszeit hat nicht nur verheerende Auswirkungen für die Lohn- und Arbeitsbedingungen, sie bedeutet auch eine enorme Belastung für die Familien und damit besonders die Frauen. Immer mehr Ehen und Beziehungen brechen auseinander, wenn sie dem nicht gewachsen sind. Professor Lange vom deutschen Jugendinstitut in München stellte nach einer Umfrage im Auftrag der Bertelsmanns-Stiftung fest, dass durch die Existenzunsicherheit und den geringen Verdienst der Leiharbeiter und befristet Beschäftigten sich immer weniger junge Männer und Frauen trauen, eine Familie zu gründen.
... und Umweltbelastungen
Der kapitalistische Raubbau an der natürlichen Umwelt und der Einsatz gesundheitsschädlicher bzw. giftiger Chemikalien belastet die arbeitenden Menschen zusätzlich. Im Sommer verwandeln immer häufiger Hitzewellen die Fabriken und Büros in „Vorhöfe der Hölle“. Dazu kommt in vielen Branchen ständiger Lärmpegel und Hitze an den Anlagen. In der Stahlindustrie herrscht ohnehin eine extreme Staub- und Feinstaubbelastung nicht nur im Betrieb, sondern auch in naheliegenden Wohngebieten. Kühl- und Kühlschmierstoffe, Walzöle und Walzemulsionen verteilen sich fein in der Hallenluft, weil sie nicht abgesaugt werden. All das verschärft noch die Belastung der Gesundheit durch Chemikalien in Lebensmitteln und in der Luft, zunehmende Allergene und dergleichen mehr.
Neue Qualität der Ausbeutung und der Zerstörung natürlicher Lebensgrundlagen
In dem Buch „Götterdämmerung über der neuen Weltordnung“ von 2003 deckte die MLPD auf, dass in Verbindung mit der Neuorganisation der internationalen kapitalistischen Produktion seit Anfang der 1990er Jahre eine weltweite Ausbeutungsoffensive gestartet wurde. Sie beruht nicht mehr in erster Linie auf neuen Technologien oder moderneren Anlagen, sondern wird vor allem „durch eine Neuorganisation der internationalen Arbeitsteilung, durch Steigerung der Arbeitsintensität und Ausbeutung der Schöpferkraft der Arbeiterklasse“ (S. 240) erreicht (siehe auch Seite 9).
Auf die Spitze getrieben wird das seit dem Ausbruch der Weltwirtschafts- und Weltfinanzkrise Ende 2008 und durch die damit einher gehende Steigerung des Konkurrenzkampfes unter den internationalen Monopolen. Sie wälzen die Krisenlasten zunehmend rigoros auf die Arbeiter und Angestellten und ihre Familien ab. Das führt auch zur Einschränkung oder Rücknahme bereits durchgesetzter Maßnahmen zum Umwelt- und Gesundheitsschutz. Gesetzmäßig birgt die kapitalistische Produktion auf ihrer heutigen Stufe die Gefahr der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen. Die neue Qualität ihrer Zerstörung wie auch die neue Qualität in der Ausbeutung der Arbeitskraft führen zu einem die Gesundheit der Menschen untergrabenden Prozess.
„Soziales Gewissen“ mit kurzer Halbwertszeit
Alle Monopolparteien haben in ihren Wahlprogrammen Kreide gefressen, geben sich „sozial“, versprechen „Schieflagen“ zu beseitigen – aber alle halten sie an ihrer „Agenda“-Politik fest. In Talkshows sitzend kritisiert Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, wenn Beschäftigte ständig für den Chef am Handy zu erreichen sind – aber Maßnahmen gegen das Anziehen der Leistungsschraube? Fehlanzeige! Nachdem die Leiharbeit immer mehr unter Beschuss der Öffentlichkeit geriet und in verschiedenen Tarifverträgen Zugeständnisse durchgesetzt wurden, weichen jetzt die Konzerne auf andere, gesetzlich abgesicherte Methoden aus. So sank die Zahl der Leiharbeiter von ihrem Höchststand von 910.000 im Sommer 2011 auf 780.000 im Oktober 2012 ab. Stattdessen steigt kontinuierlich die Zahl der „Scheinselbstständigen“, der „freien Mitarbeiter“ und der Beschäftigten mit Werksvertrag.
Echter Sozialismus: Belange von Mensch und Natur im Mittelpunkt
Die bürgerlichen Medien kommen nicht umhin, die drastischen Folgen der kapitalistischen Profitwirtschaft zu kritisieren. In Talkshows und Reportagen werden skandalöse Arbeitsbedingungen von Pflegekräften, Leiharbeitern oder rumänischen Tagelöhnern angeprangert. Engagiert nehmen sich Journalisten dieser Aufgabe an, recherchieren, decken auf …
Meist bleibt das aber dabei stehen, Auswüchse anzuprangern und bei der Forderung nach einzelnen Verbesserungen stehen zu bleiben. Außen vor bleibt dabei – von wenigen Ausnahmen wie dem Skandal um die Werksverträge bei Daimler abgesehen – die Entwicklung in den internationalen Konzernbetrieben. Dort gibt es fast täglich Auseinandersetzungen um längere Hitzepausen, gegen Massenmobbing oder für Neueinstellungen. Außen vor bleibt vor allem auch die Ursache der verschärften Ausbeutung und des beschleunigten Umschlags in die globale Umweltkatastrophe in den Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus. Davon abzulenken – und vor allem von der revolutionären Schlussfolgerung – ist die vornehmste Aufgabe des über die Medien verbreiteten Systems der kleinbürgerlichen Denkweise.
Die MLPD stellt ihre Teilnahme an der Bundestagswahl deshalb nicht nur unter das Motto des konsequenten Kampfs um jeden Arbeitsplatz, für bessere Arbeitsbedingungen und die Rettung der Umwelt vor der Protfitwirtschaft. Sie tritt auch dafür ein, radikal mit dem ganzen kapitalistischen System aufzuräumen und den Sozialismus als echte Alternative zu erkämpfen.
Im echten Sozialismus ist die Entwicklung der Produktivität nicht mehr durch den Zwang zur Profitmaximierung eingeschränkt. Im Gegenteil – es wird die Schöpferkraft der Masse der Arbeiter und anderen Beschäftigten entfaltet, um die Produktivität freiwillig und bewusst zu entwickeln, nicht für den persönlichen Vorteil, sondern für den gemeinsamen sozialistischen Staat. Nicht Steigerung der Profite auf Kosten der Gesundheit und der Umwelt, sondern Verbesserung der gesamten Lebensverhältnisse der Menschen in Einheit mit der Natur werden dann der Maßstab des gesellschaftlichen Fortschritts sein.