Schönwetter-Prognosen der Regierung und die Realität in der Stahlindustrie

Als ob es keine Weltwirtschafts- und Finanzkrise gäbe, strotzt der „Jahreswirtschaftsbericht 2013“ der Bundesregierung nur so von Ausdrücken wie „konjunkturelle Dynamik“, „robuste“ Wirtschaftsentwicklung oder „beachtliches Wachstum“. Ein Blick auf die ins Stocken geratene Entwicklung der Weltstahlindustrie zeigt jedoch, dass sich Deutschland der seit Ende 2008 anhaltenden Weltwirtschafts- und Finanzkrise nicht entziehen kann. Denn die Stahlindustrie ist einer der hauptsächlichen  Indikatoren für die kommende Wirtschaftsentwicklung.

Veränderungen zeigen sich in dieser Branche als einem Hersteller von Vormaterial naturgemäß früher als in anderen Industriezweigen. Diese hatte sich von ihrem tiefen Einbruch im Jahr 2009 dank des internationalen Krisenmanagements und dem weiteren Ausbau der Stahlindustrie in China, Indien und einer Reihe anderer Länder zwar rasch erholt. 2010 übertraf sie mit 1.430 Millionen Tonnen sogar den früheren Höchststand aus dem Jahr 2007 von 1.347 Millionen Tonnen und stieg 2011 weiter um 6,9 Prozent auf 1.529 Millionen Tonnen an. Dieser Anstieg geriet im vergangenen Jahr mit einem Plus von ganzen 1,2 Prozent auf 1 548 Millionen Tonnen weltweit ins Stocken. Die Kapazitätsauslastung der Weltstahlindustrie ging um 1,9 Prozentpunkte auf 78,8 Prozent zurück. Chinas früher zweistellige Wachstumsrate ist auf 3,7 Prozent geschrumpft. Die USA und Russland liegen mit 2,7 Prozent im Plus, Indien mit 6,3 Prozent. Neben der Stahlindustrie in Deutschland  kämpfen auch andere große Stahlerzeuger mit einem Rückgang, Brasilien von 1,4 Prozent, die Europäische Union von 4,5 Prozent.

Mit nur noch 169 Millionen Tonnen liegt die Stahlerzeugung der EU um über 40 Millionen Tonnen unter dem Höchststand des Jahres 2007. Ein Faktor dafür ist der Einbruch der europäischen Automobilindustrie. Der weltgrößte Stahlkonzern ArcelorMittal beziffert den Nachfrageeinbruch auf dem europäischen Stahlmarkt im Vergleich zu 2007 mit 29 Prozent. (www.aachener-zeitung.de)

Jetzt planen die europäischen Stahlkonzerne ebenso wie die Automobilkonzerne zahlreiche Werksstilllegungen und Entlassungen in Europa und international. Gerade erst haben die belgischen Stahlarbeiter von ArcelorMittal in Liège eine Woche gegen die Vernichtung von 1.300 Arbeitsplätzen gestreikt. Der Konzern will nach der Schließung der Hochöfen vor einem Jahr auch die Kokerei und sechs Kaltbandstraßen schließen. Von dem einstmals großen Hüttenwerk sollen ganze 800 Arbeitsplätze übrig bleiben. ArcelorMittal plant darüber hinaus die Stilllegung weiterer Kaltwalzwerke sowie zweier Hochöfen im französischen Florange in Lothringen, wogegen die Arbeiter seit Monaten kämpfen.

Die deutsche Stahlindustrie erreichte ihren Höhepunkt in diesem Jahrtausend im Jahr 2007 mit 48,6 Millionen Tonnen. 2009 brach sie auf 32,7 Millionen Tonnen ein. Das war mit -32,7 Prozent der tiefste Rückfall, den sie je erlebt hat, auf einen Stand von vor vierzig Jahren. Ihren Höhepunkt vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise hat die deutsche Stahlindustrie bisher nicht wieder erreicht. 2012 ist die Produktion schon wieder um 3,7 Prozent auf 42,7 Millionen Tonnen gesunken. Auch in Deutschland sind zahlreiche Stilllegungen geplant. Der österreichische Stahlkonzern Vöest will das Schienenwerk in Duisburg platt machen. Der finnische Konzern Outokumpu will nach dem Kauf der Edelstahlwerke von ThyssenKrupp Nirosta die Flüssigphase in Krefeld in diesem und in Bochum im Jahr 2016 schließen. Insgesamt will er in Europa 1.500 Arbeitsplätze vernichten, bei einer weiteren Verschlechterung der Wirtschaftsentwicklung auch mehr. Bei dem taumelnden Konzern ThyssenKrupp ist ungewiss, ob er nach dem geplanten Verkauf seiner neu gebauten Werke in Brasilien und den USA noch an der Stahlsparte festhalten wird.

Statt sich von der Regierung den Kopf vernebeln zu lassen, die Weltwirtschafts- und Finanzkrise sei vorüber, müssen sich die Industriearbeiter im Kampf gegen die Abwälzung der Krisenlasten über Branchen- und Ländergrenzen hinweg international zusammen schließen und sich auf harte Kämpfe vorbereiten.