„Wie sollten die Menschen darauf antworten, etwa mit Blumen?“
Faten Mukarker ist seit vielen Jahren Frauen- und Friedensaktivistin in Palästina. Sie hat mehrmals am Frauenpoltischen Ratschlag Deutschland teilgenommen, 2004 als Gastfrau bei der „Reise zu den Frauen der Welt“. Sie war Erstunterzeichnerin des „Aufruf zur 1. Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen in Venezuela 2011“. In Bethlehem arbeitet sie als Reiseführerin und lädt Reisegruppen zu sich nach Hause ein, wo sie bei einem arabischen Essen über das Leben in Palästina erzählt. Das Interview mit ihr wurde von Eva Höfler-Haidle vom Frauenverband Courage Sindelfingen während einer Vortragsreise von Faten Mukarker in Deutschland im Dezember 2012 geführt. Die "Rote Fahne" bedankt sich bei beiden für die Abdruckgenehmigung.
Was waren die Hintergründe und der Auslöser des erneuten Gazakrieges vom November 2012?
Die Hauptursache liegt in den aussichtslosen Lebensbedingungen der Menschen im Gazastreifen. Nach dem Wahlsieg der Hamas 2005 hat Israel den Gazastreifen komplett abgeriegelt, das Land in ein Freiluftgefängnis verwandelt. Die Leute sagen „den Schlüssel zu diesem Gefängnis hat Sharon (1) ins Meer geworfen“. Die Menschen, die bis dahin als Tagelöhner in Israel gearbeitet hatten, sind ohne jede Möglichkeit, Arbeit zu finden und abhängig von Hilfe aus dem Ausland.
Netanjahu (2) wollte im Vorfeld der Parlamentswahlen im Januar die Macht Israels demonstrieren. Nachdem am Grenzzaun ein Fußball spielender 13-jähriger Junge von israelischen Soldaten gezielt erschossen wurde, dann ein Militärführer der Hamas liquidiert wurde, der der wichtigste israelische Unterhändler im Gaza war, eskalierte die Gewalt.
Wie sollten die Menschen darauf antworten, etwa mit Blumen?
Israel nimmt für sich in Anspruch das Recht auf Normalität, auf Sicherheit, auf Selbstverteidigung. Dieses Recht haben sie, aber ist Israel für uns denn ein normales friedliches Nachbarland? Oder nicht vielmehr eine brutale Besatzungsmacht? Das Problem ist doch, sie wollen nicht über die Wurzeln der Gewalt reden, und das ist die Besatzung. Der Teufelskreis der Gewalt hat einen Anfang und dieser Anfang heißt Besatzung!
In den deutschen Medien liest man nur darüber, wie furchtbar die Raketenangriffe aus dem Gazastreifen für die Zivilbevölkerung in Israel waren. Wie waren denn die unmittelbaren Auswirkungen der Bombardierung des Gazastreifens?
Jeder Tote dieses neuen Krieges ist einer zu viel und wir trauern um jeden. Aber die Raketen der Hamas sind nicht zielgenau, trafen also zufällig ein Wohnhaus. Dagegen können die israelischen Raketen auf den Meter genau ihr Ziel treffen. Sie wissen also ganz genau, dass sie Wohngebiete bombardieren. Sie wissen auch ganz genau, wo sich ein Hamaskämpfer aufhält. Dazu muss man wissen, dass der Gazastreifen eines der am dichtest besiedelten Gebiete weltweit ist. Hier leben mehr als 1,5 Millionen Menschen in einem schmalen Streifen von 40 Kilometer Länge und maximal 10 Kilometer Breite. Hier kann sich keiner „verstecken“, wie die Israelis zu ihrer Rechtfertigung sagen. Die Kämpfer leben hier. Es gibt im Gazastreifen auch keine Armee, keine Soldaten, wie in Israel. Sollen alle Kämpfer sich auf einem Platz versammeln, um sich liquidieren zu lassen?
Im Fernsehen sahen wir eine Frau mit ihren fünf Kindern, die sagte: „Ich bin kein Kämpfer, ich lebe hier. Wo soll ich hin? Es gibt hier keinen Platz, wo wir in Sicherheit wären.“
Die Israelis sagen immer "Auge um Auge", das was sie machen, ist aber "ein Auge gegen eine Wimper".
Du lebst im Westjordanland in Bethlehem. Welche Auswirkungen hatte der Krieg dort?
Wie überall in der Westbank, gab es auch in Bethlehem Demonstrationen gegen die Bombardierung des Gazastreifens. Die israelischen Soldaten gingen gegen die friedlichen Demonstranten vor und verletzten mehrere. Die Touristen bekamen Angst und kamen nicht zu uns. Entweder blieben sie in Israel, oder gleich zuhause. Mehrere Gruppen, die sich bei mir angemeldet hatten, haben abgesagt. D.h. eine der wenigen Verdienstmöglichkeiten für uns fiel weg.
Wie beurteilst du die vereinbarte Waffenruhe und die Zugeständnisse, die Israel machen musste?
Der Zustand jetzt ist ja kein Waffenstillstand, geschweige denn Frieden. Es ist gerade mal die Abwesenheit von Krieg. Es gibt keine wirklichen Verbesserungen für die Bevölkerung des Gazastreifen. Was macht es für einen Unterschied, ob die palästinensischen Fischer jetzt sechs statt wie vorher nur drei Seemeilen weit raus fahren können? Wenn die Israelis wollen, beschießen sie die Fischer bereits am Strand. Solange nichts an den Lebens- und Arbeitsbedingungen geändert wird, die Menschen keine Perspektive bekommen, bringt das alles nichts.
Meinen herzlichen Glückwunsch zu der Anerkennung Palästinas als Beobachterstaat der UNO! Welche Bedeutung hat dieser Erfolg für das palästinensische Volk?
Die UNO-Vertreter wissen genau, sie müssen die Autonomiebehörde im Westjordanland stärken, um den Einfluss der Hamas zu begrenzen. Deshalb haben sie ja auch mehrheitlich mit "Ja" gestimmt. Für die extreme Regierung in Israel sind friedliche Palästinenser ein Albtraum, weil ihre Besatzungspolitik dann nicht mehr zu rechtfertigen ist. Der diplomatische Weg ist der einzige, um einen wirklichen gerechten Frieden zwischen Israel und Palästina zu erreichen und der Zwei-Staaten-Lösung näher zu kommen.
Du bist in Deutschland aufgewachsen und kennst auch die aktuelle Lage hier von deinen regelmäßigen Besuchen. Wie siehst du die Haltung der Bundesregierung zu Israel und Palästina und die Enthaltung Deutschlands bei der Abstimmung der UNO-Vertreter?
Die Bundesregierung hat immer behauptet, sie unterstütze die Zwei-Staaten-Lösung. Ich verstehe nicht, warum sie sich dann enthalten hat. Frau Merkel betont immer wieder, dass für die Bundesregierung die Sicherheit Israels absolute Priorität hätte. Sie kritisiert aber die Siedlungspolitik. Warum enthält sie sich dann?
Ein deutscher Freund sagte mir, als er mir gratulierte: „Nicht deutsche Panzer oder U-Boote, nur ein Frieden kann Israels Existenzrecht sichern.“ Genauso sehe ich das auch.
Sicherlich hat Deutschland eine besondere Verantwortung gegenüber dem jüdischen Volk. Die Nazis haben aber die furchtbaren Verbrechen des Holocaust begangen gegen die Juden und nicht gegen einen israelischen Staat. Die Deutschen sind mit Recht sehr sensibel für die Einhaltung der Menschenrechte auf der ganzen Welt. Die Menschenrechte sind aber unteilbar, sie müssten also doch auch für Palästinenser gelten! Stattdessen hat Israel letztes Jahr sogar gegen die Aufnahme Palästinas in die UNESCO gestimmt, und Deutschland hat vor 2 Monaten mit Nein gestimmt gegen die Aufnahme der Geburtskirche in Bethlehem (3) in die Liste des Weltkulturerbes. Warum? Wir sind nur das „heilige Land“, wären wir auch ein „öliges Land“, wäre das Problem im Nahen Osten vielleicht schon lange gelöst. Und ohne amerikanische und auch deutsche Waffenhilfe für Israel hätten wir schon lange Frieden. Wenn aber Netanjahu jetzt mit verstärktem Siedlungsausbau im Westjordanland droht, macht er damit deutlich, dass Israel die ganze Westbank haben will, nach dem Motto „Woher nehmen, wenn nicht stehlen?“ Das muss verhindert werden, denn es bedeutet wieder mehr Gewalt und neuen Krieg.
Was können wir hier in Deutschland tun, um den Kampf des palästinensischen Volkes für einen gerechten Frieden zu unterstützen?
Ich erlebe es auf meinen Reisen nach Deutschland, dass die Menschen hier sehr solidarisch mit uns Palästinensern sind. Ich glaube, ihr müsstet euren Politikern noch mehr Rückhalt geben, dass sie die extreme israelische Regierung und die Besatzungspolitik kritisieren und die Palästinenser konsequenter unterstützen.
Wir danken für das Interview und wünschen dir und euch viel Kraft und Erfolg in eurem Kampf.
Der nächste Deutschlandbesuch von Frau Mukarker ist für Juni 2013 geplant. Die „Rote Fahne“ kann dazu auch Kontakt zu Faten Mukarker vermitteln.
Quellen:
(1) Ariel Sharon: Israelischer Regierungschef von 2001 bis 2006
(2) Benjamin Netanjahu: Israelischer Regierungschef seit März 2009
(3) Kirche, die über der vermuteten Geburtsstelle von Jesus errichtet wurde.