Es brodelt im Süden Afrikas

Südafrika erlebt die größte Streikwelle seit Ende der  Apartheid vor 20 Jahren. Gegen alle Versuche der Regierungsparteien und der internationalen Monopole, diese einzudämmen, weitet sie sich aus. Sie erfasst mehr und mehr das internationale Industrieproletariat in allen Kernindustrien des Landes. Am Kap blitzt das Potenzial einer revolutionären Weltkrise auf.

Kampf gegen Abwälzung der Krisenlasten
Der unmittelbare Ausgang der Streikwelle mit selbständigen ökonomischen und politischen Kämpfen war im Frühjahr. Die Einführung einer Autobahnmaut und die Ausweitung der Leiharbeit steigerte die schon lange gärende Unzufriedenheit der Massen im Land. Damit wollte die Regierung von ANC, Gewerkschaftsführung Cosatu und der revisionistischen Kommunistischen Partei (SACP) die Krisenlasten auf die Bevölkerung abwälzen. Die Führung der Cosatu sah sich zu einem landesweiten Aktionstag gezwungen. Sie wollte eine unkontrollierte Entfaltung von Kämpfen verhindern. Sie rief zu Streiks im Bergbau und bei den Autofabriken, unter anderem bei Volkswagen, General Motors, Ford und Daimler auf. In vielen Städten gab es Demonstrationen.

Klassenzusammenarbeit in der Krise
Es folgten im April Lohntarifverhandlungen, vor allem im Bergbau. Ein zweiwöchiger Streik von 3.500 Arbeitern in der Modikwa-Platinmine in Limpopo sollte einen Modellabschluss von rund 10 Prozent Lohnsteigerungen erbringen. Er stand unter der Führung der Bergarbeitergewerkschaft NUM. Sie ist Mitglied im Dachverband Cosatu. Die Unzufriedenheit über die Klassenzusammenarbeitspolitik der NUM unter den Bergarbeitern besteht schon seit Jahren. Aber noch sah bis zu diesem Zeitpunkt die Mehrheit der Arbeiter sie als ihre – wenn auch schlechte – Vertretung an.  Nach dem Abschluss entfaltete sich eine offene Massenkritik an der NUM-Führung. Die Kumpel wurden mit der kleinbürgerlich-reformistischen Denkweise des Stellvertreterdenkens fertig und nahmen ihre Sache selbst in die Hand: Ein Teil der Belegschaft der Modder East Mine von Gold One International in Südafrika trat am 4. Juni in einen selbständigen  Streik für Lohnnachschlag. Der Konzern erklärte den Streik für illegal mit Verweis auf den geltenden Tarifabschluss.
Ende Juli streikten 1.100 Arbeiter der Forskor Phosphatmine für bessere Arbeitsbedingungen. Sie erklärten sich ausdrücklich nicht mit dem unzureichenden Tarifabschluss einverstanden, den die NUM im April zum Lohn, zur Gesundheitsversorgung und zu den Zahlungen bei Erwerbsunfähigkeit ausgehandelt hatte.

Marikana und der Todesmut der Kumpel
Am 10. August traten 3.000 Arbeiter, vor allem die an den Bohrgeräten, in der Lonmin-Platinmine in Rustenburg in den selbständigen Streik. Hintergrund waren  die katastrophalen Lebensbedingungen der Minenarbeiter und ihrer Familien. Sie forderten lange vergeblich Schulen, Arbeitsplätze, anständige Wohnungen und den Schutz der Umwelt.
Viele hatten die NUM verlassen und organisierten sich in der 1998 aus Kritik an der NUM-Führung gegründeten AMCU. Deren Mitgliederzahl stieg auf über 50.000 an. Das war Ausdruck des gestiegenen Klassenbewusstseins. Zugleich ist aber eine gewerkschaftsoppositionelle Abspaltung problematisch, weil sie die einheitliche gewerkschaftliche Kampfkraft an der Basis schwächt.
Das Massaker an 34 Bergleuten am 16. August durch Spezialpolizeikräfte beantworteten die Bergarbeiter mit Entsetzen, Trauer und Wut. Das Lonmin-Unternehmen ließ 260 Kumpel als Verantwortliche für die Ermordung verhaften. Die Hetze gegen die Streikenden, die als Rowdies und Terroristen beschimpft wurden, wirkte wie Öl ins Feuer. Eine Welle der Solidarität zwang die Polizei,  die Verhafteten wieder auf freien Fuß zu setzen. Ein Ultimatum mit Entlassungsdrohungen konnte die Arbeiter nicht zum Rückzug zwingen. Lonmin blieb nichts übrig, als  den Arbeitern eine Lohnerhöhung von durchschnittlich 20 Prozent anzubieten. Das feierten die Bergarbeiter als einen Sieg. Sie haben aber das Angebot auch als Spaltung kritisiert. Die südafrikanische Regierung hatte mit Marikana ihr Gesicht verloren. In ihrem System der kleinbürgerlichen Denkweise waren der kleinbürgerliche Humanismus und die Klassenzusammenarbeit Eckpfeiler. Danach sei mit der Überwindung der Apartheid ein Ende jeder Gewalt und ein  friedliches und gleichberechtigtes Zusammenleben aller Bürger gewährleistet. Der Versuch, die Arbeiter mit Polizeigewalt einzuschüchtern, misslang gründlich. Unter den klassenkämpferischen Kräften entwickelte sich eine todesmutige Einstellung im Kampf um ihre Interessen und die der Zukunft ihrer Kinder.

Landesweite Streikwelle
In den folgenden Wochen bis heute weiten sich ständig  ökonomische und politische  Streiks aus. Die Streikwelle erfasst über die Bergwerke der Platin-, Gold- und Erzgruben hinaus auch die Lkw-Fahrer, Transportarbeiter, die Geschäfte und den Handel und greift neuerdings auch auf Automobil- und Stahlwerke über.
Nach den Kämpfen für Freiheit und Demokratie im Mittelmeer-Raum 2010/11 und den politischen Massenkämpfen in Südeuropa gegen das Diktat der Troika entwickelt sich in Südafrika ein neuer Brennpunkt des internationalen Klassenkampfes. Am Kap ist das internationale Industrieproletariat aufgestanden und in das Zentrum des weltweiten  Kampfes gegen das allein herrschende internationale Finanzkapital gerückt.

Wolf-Dieter Rochlitz