Nepal: Reise zum Dach der Welt
Bottrop (Korrespondenz): Wir fünf waren die erste Reisegruppe, die mit der Reiseagentur „people to people“ Nepal besuchte. Deren Motto „Völkerfreundschaft ist unser Programm“ war nicht zu viel versprochen.
Nepal liegt zwischen China und Indien und reicht vom tropischen Dschungel im Süden bis zu den höchsten Bergen der Erde (acht Achttausender), deshalb auch der Name „Dach der Welt“. In Nepal leben ca. 30 Millionen Menschen. Das Volk hat 2006 den verhassten König entmachtet. Bei den letzten Wahlen 2008 erhielten Parteien mit marxistisch-leninistischem Anspruch über 60 Prozent der Stimmen.
Uns interessierte: Wie ist die Lage der Menschen und was hat sich verändert? Nepal gehört zu den ärmsten Ländern der Welt, der Durchschnittsverdienst beträgt 18 Euro im Monat, über die Hälfte der Bevölkerung kann nicht lesen und schreiben.
Beeindruckt waren wir von den überaus freundlichen Menschen. Super war, dass unsere Reiseleiterin viele Kontakte herstellte, um unsere zahllosen Fragen zum Leben der Menschen zu beantworten. Als Europäer weckten wir die Neugier von Schülern und Schülerinnen, die uns z. B. auf einer Wanderung zeitweise begleiteten. Mit ihnen konnten wir uns sogar direkt in Englisch unterhalten. Bei einem Dorfbesuch haben wir in einem Hinterhaus eine Teppichknüpferei entdeckt. Dort saßen acht Frauen im Halbdunkel und arbeiteten 14 Stunden täglich für einen Euro am Tag. Wir konnten ein Trinkwasserprojekt mit dem Verantwortlichen einer Art Selbstorganisation besuchen; einen Vorratstank mit Wasserverteiler hatten Bewohner des Vororts selbst gebaut.
Die Hauptstadt Kathmandu wächst wie viele Metropolen rasant und hat bereits ca. 1,5 Millionen Einwohner. In der Stadt herrscht buntes Treiben: zahllose Händler, Handwerker, die in offenen Werkstätten arbeiten, Frauen, die Gemüse anbieten, Schulkinder in ihrer Uniform, sogar Kühe. Die Straßen sind oft eng und nicht befestigt und voll mit Verkehr, Gehupe und Gestank. Allein in Kathmandu sollen 500.000 Motorräder oder Roller zugelassen sein. Die Infrastruktur für das rasche Wachstum ist nur teilweise vorhanden. Es gibt Stromleitungen in die Häuser, aber oft ist mehr als 12 Stunden am Tag der Strom abgestellt (das nennt sich „powercut“).
Folgen der neokolonialen Abhängigkeit
Die Kraftwerkskapazität in Nepal ist einfach zu gering. Monopole nutzen dies, um die neokoloniale Abhängigkeit Nepals zu erhöhen. So hat kurz vor dem Sturz des Königs ein deutsches Konsortium ein Kraftwerk gebaut, das 30 Jahre lang über den Strompreis „abbezahlt“ wird. Durch das Steigen des Wechselkurses zum Dollar von 1:35 auf 1:80 muss die nepalesische Regierung mehr als das Doppelte an die Monopole abbezahlen, berichtete uns ein nepalesischer Freund der MLPD. Dadurch steigt die Staatsverschuldung, weil die Regierung bisher die Mehrkosten nicht auf die Massen abwälzt, und es fehlt das Geld für den Bau von weiteren Kraftwerken. Müll ist ein Problem und der Fluss durch Kathmandu ist eine einzige Kloake. Da es kaum Heizungen gibt, machen bei der Kälte abends viele Menschen vor ihrem Haus Feuer und verbrennen alles, auch Müll. Der Gestank und Smog ist so stark, dass viele einen Mundschutz tragen.
In der Nähe des Hauses, in dem wir untergebracht waren, haben wir ein Krankenhaus und eine Bildungseinrichtung (mit Kindergarten, Nähkurs und Lese- und Schreibkurs für Frauen) besucht. Diese Einrichtungen werden von Organisationen und politischen Parteien getragen und von NGOs (Nichtregierungsorganisationen) aus dem Ausland mitfinanziert. Es soll über 20.000 (!) NGOs in Nepal geben. Für eine Behandlung im Krankenhaus (bis zu einer Woche) müssen Patienten umgerechnet 70 Cent bezahlen.
Wunderschöne Unterkunft
Unser Quartier war das wunderschöne internationale Freundschaftshaus, das am Rande der Stadt, aber auch mit 20 bis 30 Minuten Fußweg zentral beim Stadtzentrum liegt. In diesem Haus soll eine vielfältige politische und kulturelle Bildung organisiert werden. Das Arbeiterbildungszentrum (ABZ) in Deutschland unterstützt den Aufbau. Einen ersten Eindruck davon bekamen wir an Silvester bei einem Kulturfest mit etwa 50 Teilnehmern. Eine Musikgruppe spielte, ein Sänger, der unter dem König im Gefängnis saß, sang revolutionäre Lieder. Frauen mit bunten Gewändern tanzten traditionelle nepalesische Tänze. Wir gaben einen kurzen Jahresrückblick und sangen ebenfalls Lieder dazu. Es gab ein Büfett mit leckeren Spezialitäten; wir führten viele Gespräche mit den netten Gästen und sangen zum Abschied gemeinsam die „Internationale“.
Lebendiger Erfahrungsaustausch
Die Reiseleitung ermöglichte, dass wir uns mit Vertretern von Studentenorganisationen und einer Frauenorganisation zum Erfahrungsaustausch trafen. Die Studentenorganisationen gehören jeweils zu einer Partei, arbeiten aber auch zusammen für gemeinsame Ziele. Das Bildungswesen soll kostenlos sein und die Uni-Lehrpläne gehören radikal verändert. Sie fordern, dass statt imperialistischer Bildung wie in Großbritannien und den USA das vermittelt werden soll, was Nepal braucht, wissenschaftliche und praktische Ausbildung, vor allem in technischen Fächern, um das Land aus der Abhängigkeit zu befreien. Stattdessen werden über 80 Prozent der Studenten für den Bildungs- und Sozialbereich oder Bürojobs (vor allem für die Bürokratie!) ausgebildet.
Die Frauenvertreterin von ANWO-R (All Nepalesic Women Organisation – Revolutionary) sprach kämpferisch für die einfachen Frauen aus dem Dorf. Heute sind sie zwar offiziell gleichberechtigt, aber immer noch Bürger zweiter Klasse, auch wenn es besser geworden ist. Die Frauen haben bewiesen, dass sie alles können, wenn sie nur die Möglichkeiten dazu bekommen.
Unser Eindruck bei vielen Gesprächen mit Nepalesen war, dass die Lebenslage der Bevölkerung sehr hart ist und die Probleme drängen (Armut, fehlende Infrastruktur, Abhängigkeit von imperialistischen Ländern …). Wir haben viele Stimmen gehört, dass sich seit dem Sturz des Königs 2006, aber auch mit der neuen Regierung für die Menschen noch nichts zum Besseren gewendet hätte, außer dass es mehr demokratische Rechte gibt. Wir haben uns auch über die Zerstrittenheit und die Machtkämpfe zwischen und innerhalb der revolutionären Parteien auseinandergesetzt.
Nepal ist eines der am wenigsten entwickelten Länder, hat wachsende Auslandsschulden und ist abhängig von den imperialistischen Ländern, vor allem von Indien und China. Während wir dort waren, hat die Regierung alle Tankstellen geschlossen, da Nepal bei den indischen Ölkonzernen mit Milliarden verschuldet war und diese deshalb kein Öl mehr lieferten. Die nepalesische Regierung hat dann einen Teil bezahlt und gleichzeitig die Benzinpreise erhöht (auf über einen Euro pro Liter). Dies führte im Januar 2012 zu Massenstreiks. Um die Abhängigkeit von indischen Öllieferungen zu erhalten, verweigert die indische Regierung den Bau einer 18 Kilometer langen Pipeline von China über indisches Territorium.
Nepal – ein Land am Scheideweg
In Nepal muss eine vom Imperialismus unabhängige Wirtschaft überhaupt erst aufgebaut werden. Schon nach seinem Besuch in Nepal 2008 führte der Vorsitzende der MLPD, Stefan Engel, dazu aus: „Als Kernfrage stellte sich bei den Gesprächen mit den fünf größten kommunistischen Parteien heraus, ob man bei den erkämpften bürgerlich-demokratischen Errungenschaften verharrt oder ob man weitergeht in der neudemokratischen Revolution auf dem Weg zum Sozialismus.“ (Interview mit der „Roten Fahne“ 1/2009)
Natürlich haben wir auch die kulturellen und religiösen Seiten des Lebens in Kathmandu, Bhaktapur usw. mit kompetenter Führung und vielen Erklärungen erlebt, Tempel, Buddhas, Stupas, historische Sehenswürdigkeiten … Bei einer Dreitageswanderung in den Bergen bekamen wir das Leben auf dem Lande mit. Wir sahen viele Terrassenfelder, auf denen Reis, Kartoffeln oder Senf angepflanzt wurde, Frauen, die auf den Feldern arbeiteten, Orangenbäume, Gemüsegärten, aber auch eine Art Regenwald. Dorfbewohner zeigten uns ihr Haus. Das Klima lässt zwei bis drei Ernten zu. In einem Hotel auf einer Anhöhe konnten wir morgens den Sonnenaufgang über einigen der schneebedeckten Himalaja-Riesen erleben.
Das waren zwei erlebnisreiche internationalistische Wochen. Wir können diese Reise und das internationale Freundschaftshaus in Kathmandu wirklich weiterempfehlen.