EU-Politik von Merkel in der Krise

Die Wahlniederlage von Nicolas Sarkozy in Frankreich und der Wahlausgang in Griechenland sind eine schallende Ohrfeige für Merkels Europapolitik. Heftig kritisiert wird ein Kernstück des von Merkel/Sarkozy-Kurses, der sogenannte „Fiskalpakt“.

Dieser wurde am 2. März 2012 von 25 Regierungschefs unterzeichnet. Er tritt für die ganze Eurozone in Kraft, sobald ihn die Parlamente von 12 Mitgliedsländern ratifiziert haben. Nicht unterzeichnet haben den Fiskalpakt Großbritannien und Tschechien. Für alle anderen EU-Staaten ist er verbindlich. Sein erklärtes Ziel ist, die dramatisch anwachsende Staatsverschuldung in allen europäischen Ländern einzudämmen. Dazu wurde als Obergrenze eine Neuverschuldung von 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) festgelegt. Die einzelnen Länder sollen dazu „Schuldenbremsen“ nach BRD-Vorbild beschließen, in denen Schuldenobergrenzen in der nationalen Gesetzgebung festgeschrieben werden. Wenn EU-Staaten das nicht machen, können sie vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt und mit Sanktionen belegt werden. Damit sieht der Fiskalpakt weitgehende Eingriffe in die nationale Souveränität, insbesondere die Haushalts- und Finanzpolitik der einzelnen Mitglieder durch die EU-Bürokratie vor.

Worum geht es beim Fiskalpakt

Von wirklicher „Schuldenbekämpfung“ oder „Schuldenrückführung“ kann dabei allerdings keine Rede sein. Der Fiskalpakt sieht nur eine Begrenzung der offiziellen Neuverschuldung vor. Die verschiedenen Schattenhaushalte gehen aber weit darüber hinaus. Und auch diese Begrenzung ist mit allerlei Ausnahmen und Unverbindlichkeiten versehen. „Einmalige und befristete Maßnahmen“ der staatlichen Kreditaufnahme werden nicht auf die festgelegte Obergrenze der Neuverschuldung angerechnet, für die wiederum nur eine „rasche Annäherung“ vereinbart wurde. Überschreiten können die EU-Länder diese auch, wenn „außergewöhnliche Umstände“ vorliegen.
Vor allem enthält der Fiskalpakt kein Wort darüber, mit welchen Maßnahmen die Neuverschuldung begrenzt werden soll. In Italien ist der Schuldenberg bereits auf 120,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts angewachsen. In Spanien explodierte er in nur drei Jahren von 40 auf 68 Prozent des BIP. Ohne Kredite der Europäischen Zentralbank und des IWF wären Griechenland, Portugal und Irland längst zahlungsunfähig. Diesen Ländern wurden durch die EU-Politik der bisherigen Achse Merkel/ Sarkozy rigorose Krisenprogramme im Auftrag des allein herrschenden internationalen Finanzkapitals diktiert. In ihrer Wirkung vertiefen sie die Wirtschaftskrise in diesen Ländern dramatisch. Seit Dezember brechen die monatlichen Werte der Industrieproduktion im Euroraum um 1,6 bis 2,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr ein. In Griechenland brach sie im März sogar um 8,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr ein, in Spanien um 7,5 Prozent. Mit einer offiziellen Arbeitslosenquote von 21,2 Prozent und einer Jugendarbeitslosenquote von 50 Prozent herrscht dort die europaweit höchste Arbeitslosigkeit. „Austeritätspolitik1 mit nachfolgender Rezession“ heißt das im Kauderwelsch der bürgerlichen Ökonomen. Das ist aber tatsächlich Unsinn, weil das eigentliche Problem die seit Ende 2008 anhaltende Weltwirtschafts- und Finanzkrise ist. Sie führt dazu, dass die wachsende Staatsverschuldung in Folge der negativen Wirtschaftsentwicklung immer weniger zurückgezahlt werden kann. Durch die Krisenprogramme wird das nur noch weiter verschärft.
Insbesondere stößt diese Politik aber an politische Grenzen, weil sie sich gegen den wachsenden Widerstand der Massen immer schwerer durchsetzen lässt.

Stimmungsumschwung macht Merkels EU-Politik zu schaffen

Die Ablehnung und Kampfentschlossenheit gegen die drastischen Auswirkungen wächst an. Massenproteste, Streiks und Generalstreiks waren die Antwort. Jugendproteste und -rebellionen entwickelten sich in ganz Europa. Die latente politische Krise in den verschiedenen Ländern vertiefte sich und immer häufiger kommt es zu ihrem offenen Ausbruch. Seit 2010 fanden in 16 Ländern Europas Regierungswechsel bzw. Regierungsstürze statt. Bei den Wahlen in Griechenland und Frankreich brachte ein Linksruck die wachsende Ablehnung der Politik von Merkel/Sarkozy auf den Punkt.
Die allgemeine Tendenz der Verschuldungskrise ist in den verschiedenen Ländern aber auch unterschiedlich ausgeprägt. Vor diesem Hintergrund nehmen auch die Widersprüche in der EU zu. Das drückt sich gegenwärtig aus in dem Streit zwischen dem unbedingten Festhalten am rigiden „Fiskalpakt“ und der Forderung nach einem „Wachstumspakt“ bzw. einer Mischung von beidem.
Dem „Aufstand gegen das deutsche Spardiktat“, wie es das „Handelsblatt“ formulierte, schlossen sich inzwischen verschiedene konservative Politiker wie die Regierungschefs von Italien und Spanien, EU-Kommissionspräsident Barroso und der Chef der europäischen Zentralbank an, wie auch US-Präsident Obama. SPD und Grüne drohen mit einem Scheitern des Fiskalpakts im Bundesrat. Die Partei „Die Linke“ will sogar eine Klage beim Bundesverfassungsgericht einreichen.

Die Illusion des „Wachstumspakts“

Selbst Merkel spricht jetzt von „Wachstumsinitiativen“ und tat beim Antrittsbesuch des neu gewählten französischen Präsidenten Hollande so, als ob man sich ja mehr oder weniger einig sei. Tatsächlich will Merkel den Fiskalpakt mit „Strukturreformen“ nachbessern, die die bereits durchgesetzten europaweiten Krisendiktate noch erheblich verschärfen. So sollen die Arbeitsbedingungen weiter flexibilisiert, die Löhne noch stärker gesenkt und die Privatisierungspolitik forciert werden.
Aber gegen diesen Kurs wächst der Widerstand verschiedener Regierungen und Länder. In Griechenland scheiterten alle Versuche der Regierungsneubildung und mussten erneute Neuwahlen angesetzt werden. In Frankreich fordert Hollande, dass verstärkte Krisendämpfungsmaßnahmen ergriffen werden. Das wird über eine weiter wachsende Staatsverschuldung auch zum Anziehen der Inflation führen.
Damit gerät die EU-Politik von Merkel in die Krise. Gleichzeitig versuchen Merkel und Hollande aber auch, Kompromisse zu finden. Ihr gemeinsames Motiv ist dabei vor allem, Zeit zu gewinnen. All das zeigt, dass die dem Krisenmanagement zugrunde liegenden Probleme nicht lösbar sind, egal wie sehr sie herumeiern. Vielmehr verschärft sich die allgemeine Krisenhaftigkeit als Daseinsweise des Imperialismus. Das hat bereits das Krisenmanagement von 2008 bis 2012 bestimmt. Durch die aktuellen Maßnahmen geraten Merkel, Hollande und Co. noch tiefer in die Krise.

Dem kapitalistischen Krisenchaos an die Wurzel gehen

Mit ihren verschiedenen Maßnahmen verhindern sie zwar „aktuell einen offenen und unkontrollierten Zusammenbruch der Weltwirtschaft und des Finanzsystems, aber letztlich verschärfen sie die Überakkumulation des Kapitals noch weiter“, so Stefan Engel, der Vorsitzende der MLPD, in seinem Interview mit der „Roten Fahne“ vom 24. 4. 2012 (siehe auch S. 7). Die Ursache der seit vier Jahren anhaltenden und sich weiter vertiefenden Weltwirtschaftskrise ist die kapitalistische Produktionsweise unter der Herrschaft des allein herrschenden internationalen Finanzkapitals. Um die Krisen abzuschaffen, muss der Kapitalismus durch die vereinigten sozialistischen Staaten der Welt abgelöst werden. Für die dazu notwendige internationale Revolution gilt es vor allem die revolutionäre Weltorganisation ICOR (siehe Kasten) zu stärken. Im Herbst wird sie zusammen mit der MLPD ein Europa-Seminar durchführen, um sich über die Entwicklung in Europa (mehr dazu auf S. 12) zu vereinheitlichen, gegenseitig von den Erfahrungen zu lernen und gemeinsame weitere praktische Schritte festzulegen.

1 Haushaltspolitik, die einen ausgeglichenen Staatshaushalt ohne Neuverschuldung anstrebt