„Mobbing ist mittlerweile eine internationale Massenerscheinung geworden …“
„Rote-Fahne“-Interview mit dem Betriebsratsvorsitzenden Dietmar Kupfer
Dietmar, du bist Betriebsratsvorsitzender in einem Automobilzulieferbetrieb. Was kannst du uns zum Thema Mobbing sagen?
Mobbing tritt in vielen Formen auf. Es wird angewandt, um unliebsame Arbeiter und Angestellte loszuwerden. Dazu gehören Kollegen, die aus Alters- oder Gesundheitsgründen dem Arbeitsstress nicht mehr standhalten, vermehrt aber auch kämpferische Kolleginnen und Kollegen. Mobbing ist eine internationale Massenerscheinung geworden. So haben sich bei der Telekom France mindestens 25 Menschen das Leben genommen. Die Selbsttötungen beim chinesischen Apple-Zulieferer Foxconn gingen ebenfalls durch die Presse.
Du bist ja selbst gemobbt worden.
Ja, und das über Jahre hinweg. Das ging los, als ich vor zirka 20 Jahren in den Betriebsrat gewählt worden bin. Ich habe mich im Gegensatz zur damaligen Betriebsratsmehrheit für eine kämpferische Richtung eingesetzt. So wurden Unterschriftensammlungen initiiert, um mich aus dem Betriebsrat auszuschließen, man hatte mir Schlechtleistung vorgeworfen. Wegen „krankhaftem Querulantentum“ sollte ich aus dem Betriebsrat ausgeschlossen werden. Dass Ganze gipfelte in vier fristlosen Entlassungen.
Von wem ging das Ganze aus?
Die damalige Geschäftsleitung hat sich erst mal nicht die Finger schmutzig gemacht. Beteiligt waren aufgehetzte rückständige Kollegen. Aber auch Teile des damaligen Betriebsrates haben aktiv mitgemacht. Aber das Ganze war offensichtlich von oben gesteuert.
Das scheint aber für die Firma kein Erfolg gewesen zu sein.
Das kann man sagen. Es gab große Unterstützung durch einen Solidaritätskreis und viele politische Freunde, zu denen auch Mitglieder der MLPD gehörten. Es wurden eine ganze Reihe von Prozessen geführt. Seit über zehn Jahren bin ich wieder im Betrieb. Die kämpferischen Kollegen stellen die absolute Mehrheit im Betriebsrat, deren Vorsitzender ich mittlerweile bin. Man kann gegen Mobbing durchaus erfolgreich in die Offensive gehen. Ein wesentlicher Faktor war, dass sich das Arbeitsklima in der Belegschaft geändert hat. Die Leute halten viel mehr zusammen.
Du scheinst kein Einzelfall zu sein. Du sprichst ja selbst von einer Massenerscheinung?
Durch die sogenannten Betriebsphilosophien wurde jahrelang versucht, die Belegschaften freiwillig für die Steigerung ihrer eigenen Ausbeutung zu gewinnen. Das hat immer weniger funktioniert. Die Leute haben das immer mehr durchschaut. Sie wollen die steigende Arbeitshetze nicht auch noch „mitgestalten“. Es gibt einen Linkstrend in den Betrieben. In der letzten Zeit nimmt unter anderem deshalb der offene Druck auf die Belegschaften zu. Aber solche offenen Attacken erweisen sich oft als Bumerang für die Geschäftsleitung. Das hat man ja in meinem Fall gesehen. Es gibt mittlerweile Anbieter, die Unternehmern beibringen, wie man unliebsame „Mitarbeiter“ unter der Schwelle offener Rausschmisse los wird.
Du sprichst von zunehmender Unterdrückung. Greift da der Begriff Mobbing nicht zu kurz?
Früher hatte ich den Begriff Mobbing nicht verwendet. Ich halte das aber heute für eine richtige Bezeichnung, nämlich für eine inzwischen gängige Methode des systematischen Fertigmachens von Einzelnen oder ganzen Gruppen. Massenmobbing wie bei Opel oder gegenüber anderen Belegschaften sind z. B. im rechtlichen Sinne kein Mobbing. Auch bei politischen Maßregelungen denkt man nicht automatisch an Mobbing.
Demnach gibt es keine typischen Mobbing-Opfer?
Bestimmte Kollegen mit wenig Selbstbewusstsein mögen für bestimmte Mobbing-Formen anfälliger sein. Das hat aber nach meinen Beobachtungen nachgelassen. Der Wunsch nach Zusammenhalt hat zugenommen. Die Arbeiter entwickeln oft spontan Solidaritätsgefühle für die scheinbar Schwachen. Vermehrt werden heute aktive und kämpferische Kollegen gemobbt. Immer mehr werden die Geschäftsleitungen selbst aktiv. Abmahnungen oder Verstoßmeldungen häufen sich.
DEN typischen Mobber gibt übrigens auch nicht. Mobbing geht oft von rechten Betriebsräten aus, die ihr Zusammenspiel mit der Geschäftsleitung gefährdet sehen.
Müssten nicht kämpferische Kollegen besser gegen Mobbing-Attacken gewappnet sein?
Es gibt tatsächlich diese Ansicht. Ein mir bekannter fortschrittlicher Anwalt weigert sich, Mobbing-Fälle vor Gericht zu verhandeln. Er meint, Mobbing-Opfer würden prinzipiell was falsch machen. Aber: Mobbing-Attacken gegen kämpferische Kollegen geschehen unabhängig vom Willen oder der besonderen Persönlichkeit des Einzelnen. Ich kenne viele Menschen, die sehr mutig sind, aber durch solche Attacken verunsichert werden. Mit Mobbing sollen kämpferische Kollegen von der Belegschaft isoliert bzw. aus dem Betrieb entfernt und dabei die Masse der Kollegen eingeschüchtert werden, nach dem Motto: „Wenn du dich zu weit vorwagst, kommst du selbst unters Feuer!“
Was kann man dagegen tun?
Ein konkretes Patentrezept gegen Mobbing gibt es nicht. Mobbing taucht in allen gesellschaftlichen Bereichen auf. An Schulen, in Behörden usw. Es gibt neue Formen wie Cyber-Mobbing bei Jugendlichen. Das muss immer auch konkret behandelt werden. Wir haben uns hier mit Mobbing in den Industriebetrieben beschäftigt. Es ist wichtig, dass man bei Mobbing nicht den Kopf einzieht. Selbstverständlich gehören rechtliche Auseinandersetzungen dazu. Juristische Mittel sind aber begrenzt. Der rechtliche Mobbing-Begriff ist sehr schwammig. Mobbing darf nicht als individuelles Problem behandelt werden. Unverbrüchliche Solidarität tut dagegen not. Die Organisierung der Solidarität mit gemobbten Kollegen hilft ihnen und schweißt die Belegschaften zusammen. Die Menschen sind da sehr empfindlich geworden. Oft entzündet sich mehr Unmut über unmenschliche Behandlung als an anderen Fragen.
Wie kann man konkret vorgehen?
Auch hier gilt: es gibt kein allgemeingültiges Rezept. Man darf sich nicht alleine von den Gefühlen leiten lassen, sondern muss mit taktischen und strategischen Mitteln in die Offensive gehen. Denn es gibt ein ganzes Instrumentarium an Mobbing-Techniken. Man muss deren Klassencharakter aufdecken. Mobbing mag der Form nach Einzelne betreffen, richtet sich im Kern aber gegen die Einheit der Arbeiter. Dazu gehören restlos überzeugende Argumente. Als Betroffener muss man erst mal selbst damit fertig werden und Selbstzweifel, dass man eigentlich doch Fehler gemacht hat, überwinden. Dabei sind kameradschaftliche Kritiken eine unverzichtbare Hilfe.
Ist da einer alleine nicht überfordert?
Man kann auch aus einer anfänglichen Minderheitenmeinung eine Mehrheit überzeugen, wenn man überlegt vorgeht. Natürlich ist die Frage des organisierten Handelns mit anderen das A und O des Ganzen. Das muss aber regelrecht erlernt werden. Es ist wichtig, dass sich die Arbeiterbewegung verstärkt diesem Thema annimmt. Dazu gehört ein organisierter Erfahrungsaustausch, den auch die „Rote Fahne“ unterstützen kann. Ich könnte mir auch Workshops vorstellen, wo Gegenstrategien in Rollenspielen erarbeitet werden usw.
Es gibt einen Zusammenhang zum Kampf gegen steigende Arbeitshetze. Diese ist eine Bedingung, unter der Mobbing besser greifen kann. Wichtig ist der Kampf gegen Leiharbeit und Werkverträge. Diese Kollegen haben noch weniger Rechte und die Aufspaltung der Belegschaften untergräbt den Zusammenhalt. Wichtig sind Forderungen nach freier gewerkschaftlicher und politischer Betätigung im Betrieb. Die Stimmung dafür entwickelt sich.
Vielen Dank für das Gespräch.