Frostige Zeiten für Merkel & Co.
Minus-Grade herrschen derzeit nicht nur in kalten Nächten. Auch das Vertrauen in die bürgerliche Politikerriege ist zum Jahreswechsel denkbar abgekühlt.
Was jetzt über den Privilegienklüngel von Bundespräsident Christian Wulff bekannt wird, ruft bei vielen Leuten nur noch Spott hervor. Ausgerechnet mit einer peniblen Liste seiner von Unternehmerfreunden gesponserten Luxusurlaube ging Wulff dagegen in die „Offensive“. Wirklich überrascht hat das nur wenige. Wer zweifelt schon daran, dass diese Enthüllungen nur die Spitze eines Eisbergs engster Beziehungen zwischen dem Finanzkapital und seinen Spitzenpolitikern ist? Auch Wulff hat schließlich schon in seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident und Aufsichtsratsmitglied bei VW maßgeblich die Interessen des größten deutschen Konzerns durchgesetzt.
Die tiefe Vertrauenskrise in die Vertreter des herrschenden imperialistischen Systems und seine Institutionen wird durch zahlreiche skandalöse Enthüllungen und das Scheitern ihres Krisenmanagements genährt:
• Im Zentrum steht dabei gegenwärtig die tiefe Parteikrise der FDP. Mit zwei blauen Augen überstand FDP-Chef Philipp Rösler den Mitgliederentscheid zum Euro-Rettungsschirm ESM und den überraschenden Rücktritt seines Generalsekretärs. Und auch das nur, weil die Abstimmung von der Parteiführung – unter anderem mit massiver Stimmungsmache dagegen – regelrecht desorganisiert wurde. Obwohl sie nur mit knapper Mehrheit gewonnen wurde und gerade mal ein Sechstel der Mitglieder (nur ein Drittel beteiligte sich überhaupt an dem Entscheid) dem ESM-Schirm zustimmte, deutete Rösler das als „glänzende Bestätigung“ seines Kurses. Die Parteikrise der FDP ist damit keineswegs beendet. Wenige Tage, nachdem Rösler seinen „Erfolg“ feierte, trat der Fraktionschef der saarländischen FDP zurück und in die CDU über. In den Wählerumfragen dümpelt die FDP immer noch um die 3 Prozent dahin.
• Das ganze Jahr über folgte ein Euro-Krisengipfel dem nächsten. Noch Ende Oktober wurden die damals beschlossenen „Hebelmechanismen“ für den Euroschirm EFSF als „Durchbruch“ gefeiert. Kurz darauf war auch das schon wieder Makulatur, weil die Staatsanleihen der Euro-Krisenländer bei den erhofften Investoren auf wenig Interesse stießen. Die auf dem Krisengipfel von Maastricht aus der Taufe gehobene „Stabilitäts- und Fiskalunion“ pries Bundeskanzlerin Merkel erneut als „wichtige Weichenstellung“, um endlich aus der Euro-Krise heraus zu kommen. Stattdessen verschärfen sich die Widersprüche, unter anderem mit dem Ausscheren Großbritanniens. Auch die Rating-Agenturen ließen sich davon nicht überzeugen. Sie drohen inzwischen mit der Herabstufung der Kreditwürdigkeit fast aller Länder Europas einschließlich Deutschlands. Der Hintergrund ist das sinkende Vertrauen der Kapitalspekulanten, einen weiteren tiefen Einbruch innerhalb der Weltwirtschafts- und Finanzkrise noch vermeiden zu können. Die Industrieproduktion der Eurozone ging im Oktober schon den zweiten Monat in Folge gegenüber dem Vormonat zurück, im Jahresvergleich stagnierte sie bei nur noch 1,3 Prozent plus.
• Das „Greenwashing“ von Umweltminister Norbert Röttgen ist an Dreistigkeit kaum zu überbieten. Allen Ernstes bezeichnet er den desaströsen Ausgang des Weltklimagipfels von Durban als „wegweisenden Erfolg für den Klimaschutz“. „Wegweisend“ war er höchstens in Richtung globaler Klimakatastrophe, indem er faktisch für die Verabschiedung der führenden imperialistischen Länder aus dem bisher noch formalen Anspruch globaler Klimaabkommen steht. Nur wenige Tage danach verkündete Kanada offiziell seinen Ausstieg aus dem „Kyoto-Protokoll“, weil es sonst 14 Milliarden Dollar Strafe wegen Nichteinhaltung von dessen ohnehin völlig unzureichenden Klimavorgaben hätte zahlen müssen. Das zeigt die ganze Verkommenheit der imperialistischen Profitlogik angesichts der existenziellen Bedrohung der ganzen Menschheit.
• Innenminister Hans-Peter Friedrich und seine Kollegen von BKA und „Verfassungsschutz“ zeigen sich stets von Neuem überrascht, wie wenig Polizei und Geheimdienste angeblich über die Machenschaften faschistischer Terrorgruppen wussten. Jetzt wurde bekannt, dass die aufgeflogene Mörderbande vom thüringischen „Verfassungsschutz“ unmittelbar finanziert wurde, unter anderem um sich gefälschte Pässe zu besorgen. Angeblich alles ein „Versehen“. Immer offensichtlicher wird, dass staatliche Behörden und Faschisten bei der Vorbereitung offen terroristischer Unterdrückung der Arbeiterbewegung in Wirklichkeit Hand in Hand arbeiten und dazu regelrechte Seilschaften bilden.
• Auch auf Landes- und kommunaler Ebene mehren sich Politskandale und krisenhafte Zuspitzungen. In Duisburg wird jetzt wegen Korruptionsverdacht gegen OB Sauerland (CDU) ermittelt. 72.119 Duisburger sprachen sich in einem Bürgerbegehren erfolgreich für eine Abwahl Sauerlands aufgrund seiner Verantwortung für die Loveparade-Katastrophe aus. In Dortmund muss die Wahl zum Rat der Stadt wiederholt werden, weil der ehemalige Oberbürgermeister Langemeyer (SPD) die Öffentlichkeit über die tatsächliche Haushaltslage getäuscht hatte. Müssten nach diesem Kriterium nicht so gut wie alle Parlamentswahlen der letzten Jahre wiederholt werden?
Wachsende Widersprüche zum Diktat des internationalen Finanzkapitals
Solche Skandale kommen auch deshalb verstärkt an die Öffentlichkeit, weil immer mehr Menschen in Widerspruch zum Vorgehen des allein herrschenden internationalen Finanzkapitals geraten. Diese Schicht der 500 größten Übermonopole diktiert europa- und weltweit eine Politik des permanenten Krisenmanagements mit immer kurzfristigeren „Rettungsmaßnahmen“, rigorosen Krisenprogrammen und Aufrüstung der staatlichen Überwachungs- und Gewaltapparate. Dabei treten sie selbst bürgerlich-demokratisches Gerechtigkeitsempfinden mit Füßen und untergraben die jahrzehntelang gepflegten Lebenslügen von der „sozialen Marktwirtschaft“ oder „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“. Selbst auf die Interessen der nichtmonopolisierten Bourgeoisie und anderer Teile der Monopolbourgeoisie, die nicht zu ihrem exklusiven Klub gehören, nimmt die Spitzengruppe des internationalen Finanzkapitals nur noch wenig Rücksicht.
Dass der Stein der Enthüllungen über Merkel-Freund Wulff ausgerechnet von der Monopolzeitung „BILD“ ins Rollen gebracht wurde, ist sicher kein Zufall. Teile des internationalen Finanzkapitals drängen angesichts der tiefen Krise der FDP und der schwindenden Massenbasis der ganzen Regierung schon seit längerem auf eine Ablösung der amtierenden durch eine erneute „Große Koalition“ oder eine SPD/Grünen-Regierung. Sowohl SPD- wie Grünen-Spitzenpolitiker empfehlen sich mit Forderungen nach höheren Steuern und drastischem Schuldenabbau für einen verschärften Krisenkurs. Ex-BDI-Präsident Olaf Henkel hat sich jetzt den „Freien Wählern“ angeschlossen, um auf diesem Weg dem Projekt einer neuen ultrareaktionären Partei zum Durchbruch zu verhelfen. Der Mangel an „qualifiziertem“ Personal dafür ist allerdings noch so groß, dass sogar der gescheiterte Überflieger Karl-Theodor zu Guttenberg wieder ins Spiel gebracht wird.
Klarer sehen in stürmischen Zeiten
Dass die Herrschenden in zunehmende Schwierigkeiten und Turbulenzen geraten, ist für alle Menschen, die sich für eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse einsetzen, nur zu begrüßen. Während ihr imperialistisches System von immer mehr Krisen geschüttelt wird, sind es die Volksmassen, die mehr und mehr das Weltgeschehen beherrschen. Der Massenprotest gegen die EU-Krisendiktate entfaltet sich in Italien genauso wie in Portugal, Griechenland und Großbritannien. In Ägypten belebt sich die demokratische Aufstandsbewegung trotz brutaler Militärgewalt von Neuem. In Russland halten die Proteste gegen Wahlfälschung und staatliche Unterdrückung an. In Kasachstan rebellieren die Ölarbeiter – die Polizei erschießt Dutzende von ihnen. Das sind einige Schlaglichter eines Jahresausklangs weltweiter Kämpfe und Rebellionen. Sie bestätigen die Einschätzung der MLPD, dass sich auf dem Boden der allgemeinen Krisenhaftigkeit des imperialistischen Weltsystems die Tendenz zu einer revolutionären Weltkrise herausbildet.
Die bevorstehenden stürmischen Zeiten werden helfen, die notwendigen Fronten weiter zu klären. Die von der internationalen marxistisch-leninistischen und Arbeiterbewegung verkörperte gesellschaftliche Perspektive des Sozialismus wird nur dann immer mehr Menschen ergreifen, wenn sie mit dem modernen Antikommunismus fertig werden, der maßgeblich vom „Verfassungsschutz“ verbreitet wird. Was von dieser Institution zu halten ist, die mit faschistischen Verbrechern unter einer Decke steckt, gleichzeitig aber Eimer voll Dreck über Marxisten-Leninisten und Linke auskübelt, haben die letzten Wochen eindrücklich gezeigt.
Gezielt werden aber auch neue Varianten des Systems der kleinbürgerlichen Denkweise gefördert wie die Piratenpartei oder die „Occupy“-Bewegung. Sie sind Ausdruck verstärkter Kapitalismus-Kritik, lenken jedoch von der Schlüsselfrage der organisierten Vorbereitung der internationalen sozialistischen Revolution ab. Sie orientieren stattdessen auf eine Lösung im Rahmen des kapitalistischen Systems und fördern Ohnmachtsgefühle, dass man dagegen ohnehin nicht ankomme. Dabei hat gerade die Gründung und der begonnene Aufbau der ICOR („Internationale Koordinierung revolutionärer Parteien und Organisationen“) mit mittlerweile 42 Mitgliedsorganisationen gezeigt, wie eine dem Imperialismus überlegene Kraft entstehen kann. Diese Kraft weiter aufzubauen, wird deshalb auch eine zentrale Aufgabenstellung des Jahres 2012 sein.