Kochen ist „in“
Kochstudios, Promi-Dinner, „Essen und Trinken“, Küchenschlacht – die Küche boomt im Fernsehen. Ob getrüffelte Wachtelbrust-Mousse, ob ein Sößchen aus Junghummerschwänzchen – es gibt einfach nichts mehr, was es nicht gibt. Und offensichtlich kein größeres Volksvergnügen, als ausgesuchteste Zutaten zu beschaffen (das darf auch gern ein kleines Vermögen kosten) und die Löffel zu schwingen in der durchgestylten Küche.
Stimmt: Kochen macht Spaß. Wenn man Zeit hat, die Familie Hunger hat oder Freunde da sind. Mal was Neues ausprobieren, mal auf dem Markt stöbern und, wenn alles gut geht, einen schönen, satten Abend zusammen verbringen.
Aber ein Alltagsspaß ist das Kochen für die meisten nicht. Nicht, wenn man tagsüber arbeitet, abends schnell im Laden vorbeirennt und sich dann noch in die Küche stellen muss – oder halt nur ein Brot reinschiebt, weil sich für einen Einzelnen das Kochen nicht lohnt. Nicht, wenn man eine Familie hat, die Kinder mit wechselnden Schulzeiten, der Mann auf Schicht und womöglich noch eine kranke Mutter im Haus, die Diät braucht. Dann ist man entweder stundenlang beschäftigt oder ist eine der von der bürgerlichen Propaganda ins Visier genommenen Rabenmütter, die womöglich auf „fast food“, z. B. die Fertigpizza, zurückgreift. Der Spaß bleibt auch schnell auf der Strecke, wenn das Geld knapp ist: enge Küchen, Produkte der Lebensmittelmonopole, die oft alles andere als gesund sind.
Die bürgerliche Familienordnung sichert ab, dass die Haushaltsführung privat organisiert wird – und die Verantwortung dafür ist nach wie vor überwiegend Frauensache.
Schon im 19. Jahrhundert nahm sich die Arbeiter- und Frauenbewegung der Fessel der privaten Haushaltsführung an. August Bebel formulierte in seiner Schrift „Die Frau und der Sozialismus“ 1878: „Die Privatküche ist für Millionen Frauen eine der anstrengendsten, zeitraubendsten und verschwenderischsten Einrichtungen, bei der ihnen Gesundheit und gute Laune abhanden kommt und die ein Gegenstand der täglichen Sorge ist, namentlich wenn, wie bei den allermeisten Familien, die Mittel die knappesten sind. Die Beseitigung der Privatküche wird für ungezählte Frauen eine Erlösung sein.“ Alle möglichen Reformvorschläge und Architekturmodelle wurden entwickelt, zum Beispiel das „Einküchenhaus“ mit einer Gemeinschaftsküche für mehrere Wohnungen usw. Aber das Grundproblem, die bürgerliche Familienordnung, konnten diese Modelle natürlich nicht beseitigen – so verschwanden sie wieder mit der Zeit.
Im Sozialismus muss die Einzelfamilie dem Kapitalismus nicht mehr als wirtschaftliche Grundeinheit dienen, sondern lebt auf der Basis der Freiwilligkeit und gegenseitigen Liebe und Verantwortung zusammen. Dann kann die Fesselung der Masse der Frauen an die „Kleinarbeit der Hauswirtschaft“ (Lenin) überwunden werden durch die „massenhafte Umgestaltung zur sozialistischen Großwirtschaft“ (Lenin, Werke, Bd. 29, S. 419).
Aber soll man denn im Sozialismus zur Kollektivierung des Privatlebens gezwungen werden? Nicht mehr selbst kochen dürfen? Das sicher nicht – aber es gibt heute Voraussetzungen, die eine viel höhere Qualität der Ernährung als in privaten Einzelhaushalten ermöglichen würden, wenn sie im Interesse des Volkes eingesetzt würden. Und die das „private Kochen“ zu einem freiwilligen Vergnügen statt einer täglichen Pflicht machen würden.
Heute schon gibt es Großküchen, die auf höchstem technischen Standard hervorragende Ergebnisse bringen; aber die werden in der Regel nur von großen Unternehmen genutzt – die Masse der Bevölkerung kommt kaum in den Genuss dieser Vorteile. Heute können z. B. Gerichte mit dem „Cook & Chill“-Verfahren wenige Tage vor dem Verbrauch gekocht, sehr schnell auf 3 Grad Celsius heruntergekühlt und kurz vor dem Verzehr fertiggestellt, regeneriert und wieder erhitzt werden – die Inhaltsstoffe werden dadurch wesentlich besser erhalten als beim konventionellen Kochen und Aufwärmen. Eine Weiterentwicklung ist das Vakuumgaren, bei dem vakuumverpackte Lebensmittel gekocht, ebenfalls schnell heruntergekühlt und nach bis zu 21 Tagen im Heißluftdämpfer wieder erhitzt werden. Für solche Verfahren ist aber eine aufwendige Technik nötig, die die Möglichkeiten der allermeisten Privathaushalte sprengt.
Wenn im Sozialismus hochentwickelte Großküchen auch in Wohngebieten eingerichtet würden, wäre eine Versorgung der Bevölkerung mit höchstem Standard möglich:
• durch die Güte der verarbeiteten Lebensmittel, die täglich frisch, möglichst aus der Umgebung bezogen werden können mit garantierten Qualitätsstandards;
• durch die Qualität der angebotenen Speisen;
• durch eine sehr hohe Flexibilität im Angebot – man kann zwischen zahlreichen Speisen, Diätküche usw. auswählen, sich die Bestandteile beliebig zusammenstellen;
• durch eine wegen großer Mengen kostengünstige Produktion und entsprechend niedrige Preise für die Verbraucher. Kinder, Kranke, nicht arbeitsfähige Menschen könnten dadurch problemlos kostenlos versorgt werden;
• durch eine hoch entwickelte Hygiene und Sauberkeit – so gibt es heute z. B. Großküchen, in denen mit Luftüberdruck gearbeitet wird, damit keine Luft aus dem Schmutzbereich außen in die Küche gezogen wird;
• durch eine sehr große Energieersparnis im Vergleich mit den ganzen Einzelküchen;
• durch eine systematische Verwertung der „Abfälle“ z. B. in Biogas-Anlagen.
Und an der „Kritik- und Vorschlag-Wand“ könnten die Meinungen der „Kunden“ gesammelt werden, die dann regelmäßig von einer Wohngebietsgruppe mit den Küchenleuten beraten würden.