Nonnen mit schwarzen Koffern …
… und andere Legenden über den griechischen Staatsbankrott
„Griechen bunkern 200 Milliarden Euro in der Schweiz“, titelt die „Bild“-Zeitung am 19. Oktober. Abends dann heiße Diskussion im Sportverein: „Irgendwann reicht es doch, wir schicken Geld nach Griechenland und die Griechen schaffen es ins Ausland“, meint ein Kollege. „Überleg doch mal“, erwiderte ich. „Die Griechen? Wenn das in Deutschland wäre, wie viele von deinen Milliarden wären dann dabei?“ Schnell wird klar: die griechischen Kolleginnen und Kollegen verfügen so wenig wie wir über Milliarden Euro und Krisenprofiteure gibt es bekanntlich nicht nur dort. Die Auseinandersetzung über die Ursachen des drohenden Staatsbankrotts in Griechenland tobt in ganz Europa.
20 Prozent der Beschäftigten in Griechenland sind heute schon gezwungen, zu Niedriglöhnen zu arbeiten. Jeder fünfte Grieche lebt offiziell unter der Armutsgrenze – Dunkelziffer deutlich höher. Überdurchschnittlich betroffen – wie in Deutschland – Frauen, Jugendliche, Rentner und Familien mit Kindern. Man kann sich ausrechnen, was es bedeutet, wenn jetzt 150.000 Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst vernichtet und 30.000 Beschäftigte sofort entlassen werden. Die von der EU verordnete 20-prozentige Lohnkürzung wird die Massenarmut in die Höhe treiben. Ein Arbeitsloser erhält derzeit noch 450 Euro Unterstützung monatlich. Aber nur für ein Jahr.
Über ihre Verhältnisse gelebt haben ganz andere. Griechenland hat gemessen am Bruttoinlandsprodukt den größten Rüstungshaushalt in Europa. „Die Rüstungsgeschäfte zeigen beispielhaft, warum das Land zu tief in der Krise steckt“, schreibt „Die Welt“ bereits Mitte 2010. Über 50 Milliarden Euro investierte Griechenland im letzten Jahrzehnt in sein Militär. Nutznießer sitzen auch in deutschen Konzernzentralen. 170 „Leopard 2“ verkaufte Krauss-Maffei Wegmann für 1,7 Milliarden Euro. ThyssenKrupp Marine Systems erzielte Milliardenumsätze mit U-Booten.
Außenminister Guido Westerwelle (FDP) mahnte seine griechischen Kollegen stets zum strikten „Sparen“. Hinter vorgehaltener Hand drängte er aber vor allem, den Kauf von Euro-Fighter-Jets zum Abschluss zu bringen.
Weitere Quelle des griechischen Staatsbankrotts ist eine Steuerpolitik zu Gunsten großer Unternehmen und Monopole. Werften und Schifffahrtsunternehmen zahlen in Griechenland überhaupt keine Steuern. 2004 wurden Steuern auf Kapitalerträge um 10 Prozent reduziert. Im gleichen Jahr leistete sich die griechische Regierung das Prestigeprojekt Sommer-Olympiade. Mit mindestens 7 Milliarden Euro trug das 16-tägige Spektakel zu den Staatsschulden bei.
Gerne verbreitet die „Bild“-Zeitung die Legende, dass sich Griechenland in die EU geschmuggelt habe. Dazu sei der reale Schuldenstand vertuscht worden. Leider vergisst „Bild“ regelmäßig zu erwähnen, dass diese Vertuschung von EU-Seite gewünscht und von Investmentbanken wie Goldmann-Sachs (USA) gedeckt wurde. Das internationale Finanzkapital wollte Griechenland als Absatzmarkt. Vor allem für mittlere griechische Unternehmen und zahlreiche Bauern war der Beitritt dagegen der Untergang. Was früher selbst produziert wurde, muss heute teuer aus dem Ausland importiert werden. 2008 lag das Außenhandelsdefizit Griechenlands bei 15 Prozent. Griechenland stand in dieser Beziehung schlechter da als afrikanische Länder wie Botswana.
Zwei von drei Euro an Staatsausgaben muss Griechenland 2011 für Zinsen und Schuldentilgung ausgeben. Profiteure sind internationale Großbanken. Sie haben an den griechischen Krediten oft mehrfach verdient. So zahlen sie Sparern zum Beispiel in Deutschland ganze 0,5 Prozent Zinsen für ihre Einlagen. Dem griechischen Staat pressen sie bis zu 18 Prozent an Kreditzinsen ab.
Der griechische Staatsbankrott hat viele Väter und Mütter. Die griechischen Massen gehören nicht dazu. Weder haben sie über ihre Verhältnisse gelebt, noch Milliarden Euro, um sie zu verbunkern. Sie sehen erst recht keinen Cent aus den „Rettungsschirmen“ der EU. Es erfordert schon die Dreistigkeit einer „Bild“, um all das beiseite zu wischen. Sie sorgt lieber für Schlagzeilen mit Legenden von „Nonnen, Priestern und Arbeitslosen, die am Flughafen mit Koffern voller Euros erwischt werden“ (19. 10. 2011).
„Bild“ setzt vor allem auf die Gefühlsebene, verbreitet und verstärkt nationalistische Vorbehalte und Vorurteile. Die Griechen seien „faul“, die Deutschen „fleißig“, die Italiener „bunga bunga“. Wer sich von solchen nationalistischen Vorurteilen leiten lässt, sitzt der Spaltungspolitik der Herrschenden auf. Die Arbeiterinnen und Arbeiter und die breiten Massen in Europa haben einen gemeinsamen Feind: das internationale Finanzkapital. Sollen wir uns womöglich freuen, wenn in Italien jetzt auch die Rente mit 67 eingeführt wird – oder lieber gemeinsam europaweit gegen solche Angriffe auf unsere sozialen Errungenschaften kämpfen?!