Wie Geschichte gefälscht und instrumentalisiert wird Neue Erkenntnisse zum Massaker von Katyn im Herbst 1941

aus Rote Fahne 37/2010

RoteFahne37_10.jpgSpeziell das deutsch-polnische Verhältnis wird immer wieder dazu benutzt, die Politik im reaktionären und antikommunistischen Sinne zu beeinflussen. Aktuell machte Erika Steinbach, die Vorsitzende des „Bundes der Vertriebenen“, Schlagzeilen. Öffentlich unterstützte sie die These, dass Hitlers Überfall auf Polen, der 1939 den II. Weltkrieg auslöste, nur „der zweite Schritt“ gewesen sei, da die polnische Armee fünf Monate zuvor eine Mobilmachung verordnet habe. Das ist äußerst delikat: Natürlich war diese Mobilmachung eine Reaktion auf Hitlers ständige Drohungen gegenüber Polen.

 

Andrerseits wird nun von bürgerlicher Seite aber argumentiert, dass insbesondere die Zerschlagung der Tschechoslowakei zugunsten Hitlerdeutschlands durch das Münchner Abkommen von 1938 diesen Schritt ausgelöst hätte. Polen war jedoch selbst Nutznießer dieses schändlichen Abkommens und benutzte es ebenfalls dazu, Gebiete zu annektieren. Hier kam zum Ausdruck, dass das bürgerliche Regime in Polen durchaus bereit gewesen wäre, gemeinsam mit Hitler die sozialistische Sowjetunion zu überfallen, bis zuletzt taktierte und schließlich Opfer der eigenen Intrigen wurde.

 

Die Katyn-Propaganda: Von den Hitlerfaschisten in die Welt gesetzt

Das Massaker an polnischen Offizieren in Katyn während des II. Weltkriegs ist ein zentrales Thema antikommunistischer Propaganda. Jetzt gibt es neue Erkenntnisse, dass diese Propaganda auf Lügen und systematischer Fälschung beruht.

Die Widersprüche zwischen dem faschistischen Pilsudski-Regime Polens und der sozialistischen Sowjetunion waren in den 1930er Jahren immens. Polen hatte die Schwäche der jungen Sowjetrepublik nach der Oktoberrevolution ausgenutzt, um sich auf ihre Kosten auszudehnen. 1939 marschierte die Rote Armee in diese Gebiete ein, um nach der polnischen Niederlage gegen Hitler zu verhindern, dass ganz Polen von den Nazis besetzt würde. Von der bürgerlichen polnischen Exilregierung, die in London residierte, wurde das jedoch mit der Okkupation durch die Nazis gleichgesetzt.

Zwei Ereignisse während des Weltkriegs machten die anhaltenden Widersprüche besonders deutlich: Die Auslösung des Warschauer Aufstands 1944 durch den polnischen General Bor-Komorowski, dessen vorhersehbares Scheitern der Roten Armee angelastet wurde (siehe dazu: „Der angebliche Stalin-Befehl. Zum 60. Jahrestag des Warschauer Aufstands“, RF 39/2004) und das Massaker von Katyn. War schon die Auseinandersetzung um den Warschauer Aufstand von antikommunistisch motivierten Dokumentenfälschungen der Nazis begleitet, die von polnischer Seite aufgegriffen wurden, so traf dies in noch stärkerem Maß auf Katyn zu.

Die Ermordung kriegsgefangener polnischer Offiziere, die sich bis zum deutschen Überfall im Sommer 1941 in sowjetischer Gewalt befunden hatten, wurde 1943 von Nazi-Propagandaminister Goebbels der Roten Armee angelastet. Dazu wurde eine breit angelegte Propaganda-Kampagne gestartet und eine „Kommission“ gebildet, die dies anhand von Indizien nachweisen sollte. Zum selben Zeitpunkt erlebten die Nazis mit der Niederlage bei Stalingrad den endgültigen Wendepunkt des Krieges und wollten die Anti-Hitler-Koalition mit diesen Meldungen spalten. Peinlich nur, was Goebbels in seinen Tagebüchern notierte: „Unglücklicherweise hat man deutsche Munition in den Gräbern von Katyn gefunden … Wenn diese Tatsache dem Feind bekannt wird, wird man auf die ganze Geschichte von Katyn verzichten müssen …“

Nach der Wiedereroberung der Gebiete durch die Rote Armee bildete auch die Sowjetunion eine Kommission und sowohl die Munition wie auch Briefe, die aus der Zeit der deutschen Besatzung datierten, gehörten zu den wichtigen Fakten, die die deutsche Täterschaft belegten. Allerdings hinderte das Gorbatschow und die ihm nachfolgende Regierung Jelzins nach dem Zerfall der Sowjetunion nicht daran, gegenüber der polnischen Regierung ein Schuldeingeständnis zu machen. Es stützte sich hauptsächlich auf eine angeblich vom damaligen sowjetischen Innenminister Berija formulierte Empfehlung, die polnischen Offiziere als Konterrevolutionäre zu erschießen. Dies sei vom Politbüro so unterschrieben worden. 2005 verfasste der Journalist Jurij Slobodkin in der Zeitung „Trudovaja Rossija“ dazu eine Artikelserie, in der er aufzeigte, dass es sich bei diesen „Dokumenten“ um Fälschungen handeln müsse. Tatsächlich waren der polnischen Regierung von Jelzin auch nur „Kopien“ überreicht worden, die angeblichen Originale blieben verborgen (siehe RF 42 u. 43/2007: „Katyn – Dauerbrenner der antikommunistischen Propaganda“)

 

Brisante neue Erkenntnisse

Der Flugzeugabsturz einer polnischen Regierungsmaschine im Frühjahr dieses Jahres und die Feierlichkeiten zum 65. Jahrestages des Kriegsendes waren erneut Anlass, Katyn zu thematisieren. Warum? Die „Süddeutsche Zeitung“ erläuterte das am 29. April 2010: „Zwar waren die Akten in Kopie in Polen seit 1992 einsehbar. Nun sind sie aber in Russland online abrufbar. Russland demonstriere ,absolute Offenheit‘ über Katyn, hat Archivleiter Andrej Artisow nach Angaben von Interfax gesagt. Viele Russen glauben bis heute, dass die Verbrechen von den Nazis begangen wurden – so wie die Sowjetunion es verbreitete und wie es noch immer einzelne russische Abgeordnete behaupten. Insofern zielt die Online-Veröffentlichung, die von Präsident Dmitrij Medwedjew angeordnet worden war, vor allem auf das heimische Publikum.“

Und dieses Publikum hatte kurz zuvor im Dezember 2009 in Moskau Stalins 130. Geburtstag gefeiert und ihn in Internetabstimmungen unter die beliebtesten Persönlichkeiten der russischen Geschichte gewählt. Ein Zufall?

Am 18. Juni 2010 fand nun in der Staatsduma der Russischen Förderation eine Pressekonferenz mit dem Stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der KPRF, S. N. Reschulskij, und dem stellvertretenden Vorsitzenden des Komitees der Staatsduma für Gesetzgebung und staatlichen Bau, W. I. Iljuchin, statt. Es wurde von ihnen bekannt gemacht, dass die Schriftexpertise der angeblichen Dokumente zu Katyn ergeben habe, dass diese mit unterschiedlichen Schreibmaschinen angefertigt wurden und dass auf dem angeblichen Politbürobeschluss weder Unterschrift noch Siegel vorhanden waren. Iljuchin führte aus, dass er einen Zeugen habe, der behaupte, dass es Anfang der 1990er Jahre im Apparat Jelzins eine spezielle Gruppe gegeben habe, die sich mit der Aufgabe der Fälschung von Dokumenten beschäftigt habe. Zudem seien von dem damals führenden Historiker Wolkogonow aus dem Geheimen Staatsarchiv Hunderte von Dokumenten in die Kongressbibliothek der USA entführt worden.

Bei der KPRF (Kommunistische Partei der Russischen Föderation) handelt es sich um die revisionistische Nachfolgeorganisation der KPdSU. Trotzdem sind diese Dinge natürlich von größtem Interesse und vor allem erhebt sich die Frage: Warum wurde diese Pressekonferenz in den bundesdeutschen Medien ignoriert, die doch sonst über Katyn nicht genug berichten können? Warum schwieg selbst die DKP, die bundesdeutsche Bruderpartei der KPRF, die ansonsten ständig Übersetzungen ihrer Stellungnahmen bringt? Man kann bei uns jeden Tag Hetze gegen Stalin sehen, hören oder lesen. Warum herrscht hierzu verlegenes Schweigen?

Die MLPD, die bisher in ihrem theoretischen Organ REVOLUTIONÄRER WEG die Probleme der sowjetischen Geschichte kritisch und selbstkritisch und mit absoluter Offenheit behandelt hat, wird sich mit den befreundeten marxistisch-leninistischen Organisationen in Russland auch zur Katyn-Frage weiter verständigen. So wie sie die durchsichtigen Versuche einer Erika Steinbach zurückweist, die deutsche Kriegsschuld von 1939 zu relativieren, so wendet sie sich auch gegen alle Versuche reaktionärer polnischer oder russischer Politiker, die sozialistische Sowjetunion und Stalin zu diskreditieren. (dk)

Hinweis:
Wie wir inzwischen feststellten, sind die Zitate aus Goebbel's Tagebuch in diesem Artikel  offenbar von einer nicht zuverlässigen Quelle.
In dem Artikel "Goebbels und das Massaker von Katyn" in Rote Fahne 39/2010 wird dies richtig gestellt.