Sind Menschen mit revolutionärer Gesinnung nur dann genehm, wenn sie 100 Jahre tot sind? Mutige Rede von Annegret Gärtner-Leymann in Bochum

aus Rote Fahne 12/2011

RoteFahne12_11.jpgIn zwei Anträgen von IG-Metall-Delegierten von Opel in Bochum zum kommenden Gewerkschaftstag wurden die Abschaffung der Unvereinbarkeitsbeschlüsse in der IG Metall sowie eine entsprechende Satzungsänderung gefordert. Zu diesen Anträgen hielt die Opel-Betriebsrätin Annegret Gärtner-Leymann am 15. März einen Redebeitrag auf der IGM-Delegiertenversammlung in Bochum, den die „Rote Fahne“ hier wiedergibt.

 

 

Wir stehen kurz nach dem Internationalen Frauentag und er hatte dieses Jahr seinen 100. Geburtstag. Wenn es auch ein kleiner Anfang war, aber wir haben auch bei Opel wieder begonnen, gewerkschaftliche Frauenarbeit zu machen – und zwar – was ja bei Opel nicht selbstverständlich ist – fraktionsübergreifend.

Es gab von der IGM diese schönen Taschen zu 100 Jahren Frauentag und wie ihr seht, es sind selbstverständlich auch Clara Zetkin und Rosa Luxemburg drauf und vielfach wurde natürlich auf die „Sozialistin Clara Zetkin“ als Mitbegründerin der Frauenbewegung hingewiesen. Clara Zetkin und Rosa Luxemburg waren … z. B. beide persönlich und politisch eng mit Lenin befreundet. Die antikommunistische Hetzjagd hat Rosa Luxemburg sogar das Leben gekostet.

Auch sie alle haben von der Diktatur des Proletariats, von der Notwendigkeit revolutionärer Gewalt, von Kommunismus gesprochen und dafür gekämpft. Dennoch würde keiner auf die Idee kommen, sie nicht als wichtigen Bestandteil der Frauen- und Arbeiterbewegung zu würdigen. Ebenso wenig, wie jemand ernsthaft bestreiten würde, dass Marx und Engels große Bedeutung für die Arbeiterbewegung in Deutschland haben.

Aber offenbar sind Menschen mit dieser Gesinnung nur dann genehm, wenn sie mindestens 100 Jahre tot sind! Wenn es nach Detlef Wetzel, Berthold Huber und leider auch nach der Mehrheit unserer Antragsberatungskommission in Bochum gehen würde, müsste die Tasche so aussehen … (Sie hielt eine Tasche hoch, auf der die Köpfe von Clara Zetkin und Rosa Luxemburg fehlten – Anm. d. Red.) …

Zur Begründung von Huber und Wetzel: Ich finde es ja ganz gut, dass jetzt die ganze IG Metall über das Programm der MLPD diskutiert. Aber die Art und Weise, wie hier mit Versatzstücken, Falschdarstellungen und unter Verwendung von Reizwörtern Stimmung gemacht wird, ist schon unterste Schublade. Sicher kann man das hier nicht alles ausdiskutieren, aber auf einige Fragen möchte ich eingehen.

„Die MLPD will Gewalt anwenden zur Durchsetzung ihrer Ziele“? Richtig zitiert das Schreiben von Herrn Wetzel ja das Parteiprogramm: „Die Arbeiterklasse wünscht, dass sich die Revolution ohne Gewaltanwendung durchsetzen würde. Doch die Frage der Gewalt stellt sich unabhängig vom Willen des Proletariats. Wenn die Kämpfe einen revolutionären Aufschwung nehmen, werden die Monopole nach aller geschichtlichen Erfahrung versuchen, ihre Macht mit brutaler Gewalt aufrechtzuerhalten. Deshalb muss sich die Arbeiterklasse unter Führung ihrer Partei zum bewaffneten Aufstand erheben.“

Die Verwendung von Gewalt erscheint als so ungeheuerlich, dass keiner mehr sachlich darüber nachdenkt. Bei nüchterner Betrachtung: Was haben wir denn die letzten Monate in Nordafrika, Tunesien, Ägypten, Libyen mit großer Freude gesehen? Das Volk stürzt sei-

ne diktatorischen Machthaber und verteidigt sich gegen gewaltvolle Versuche, ihre Macht aufrechtzuerhalten, ebenfalls mit Gewalt. Wollt ihr ihnen das absprechen? Und übrigens, sie haben Gewalt angewendet gegen Regierungen, die von allen unseren verschiedenen Regierungen der letzten Jahrzehnte nicht nur geduldet, sondern unterstützt wurden, von denen auch unser Staat wirtschaftlich und politisch gelebt hat. Nee, was sind wir doch freiheitlich-demokratisch! Ja, auch diese Außenpolitik gehört zu unserer sogenannten freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

Egal, ob wir uns in allem politisch einig sind, aber ihr müsst alle zugeben, dass auch weiterreichende kämpferische Aktivitäten, als sie die Gewerkschaften leisten können, unserer Gesellschaft nur gut tun können. Und auch, dass es der IG Metall nur gut tun kann, Mitglieder zu haben, die mit so manchem offenen Wort oder kämpferischer Aktivität auch manchmal die eine oder andere Verkrustung aufbrechen. Helft mit, dass nicht ein Teil dieser Leute, die ja oftmals der MLPD zugerechnet werden, bald allesamt mundtot gemacht oder ausgeschlossen werden können!

In diesem Sinne bitte ich euch alle, frei von Vorbehalten, die die größte Staatsreligion in Deutschland – der Antikommunismus – in uns allen erzeugt hat, nüchtern und sachlich über die Anträge zu entscheiden.

 

Mehr über die Debatte und die Ergebnisse in der nächsten „Roten Fahne“.